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Politik ändert man so nicht

■ betr.: „Mit der Nato nach Osten“ von Ludger Volmer, taz vom 7.4. 97, „Osterweiterung der Nato? Bis Wladiwostok!“, Interview mit Joschka Fischer, taz vom 9.4. 97

Obwohl Joseph Fischer, verglichen mit seiner Realobasis in der Bundestagsfraktion, zweifellos über eine überdurchschnittliche Intelligenz verfügt, hat er einen Verstandesmangel nicht nur mit rechten Grünen, sondern auch mit linksradikalen Anti-Rot-Grün- NörglerInnen gemeinsam: Sie verstehen Politik nicht als selbst zu gestaltenden gesellschaftlichen Prozeß, sondern als statischen Positionsaustausch am Verhandlungstisch.

Bei den oben genannten NörglerInnen heißt das, daß sie Koalitionen der Grünen immer schlecht finden, weil wichtige Positionen nicht durchgesetzt wurden. Es reicht ihnen, KoalitionspartnerInnen und innerparteiliche GegnerInnen zu „entlarven“ und eine „Siehste“-Pose aufzusetzen.

Bei den Realos heißt das, jegliche Programmatik schon vor dem Koalieren glattzuschleifen oder ganz auf sie zu verzichten, weil es nicht auf Inhalte, sondern aufs Mitregieren ankommt. Sie fühlen sich von außerparlamentarischem und innerparteilichem Druck nicht gegenüber KoalitionspartnerInnen und politischen GegnerInnen unterstützt, sondern belästigt und empfinden das, kleinkinderhaft beleidigt, als mangelndes Vertrauen. Mann müßte sie nur machen lassen. So degradieren sie den gesellschaftlichen Raum, wozu auch Parteibasis und deren Programmatik zählen, zur passiven ZuschauerInnentribüne, statt diese Bereiche als politisch handelnde Subjekte in die eigene Strategie zu integrieren.

Nur so ist es zu verstehen, wenn Fischer sich an grüner Programmatik stört. Statt das als Druckpotential gegenüber SPD und Nato einzusetzen, um bei eventuellen Koalitionsverhandlungen möglichst weitgehende Entmilitarisierungsschritte zu erreichen, liebt er die Pose des angeblich „realistischen“ Patriarchen. Es kann sogar sein, daß es ihm damit gelingt, Außenminister zu werden. Allerdings wird es ihm so nicht gelingen, die Politik zu verändern. Martin Böttger, Bonn

[...] Seit der ersten Bosnien-Debatte scheint Fischer der Kohl-Regierung friedliebende Absichten zu unterstellen und blendet das aggressive Streben nach politischer und militärischer Weltmacht aus, das die deutsche Politik in den Neunzigern prägt. Ohne „wilde Verrenkungen“ (Joschka) kann die Linke sehr wohl darauf hinweisen, daß es einen wesentlichen Unterschied macht, wenn Fischer und Trittin die Nato-Erweiterung mitgestalten anstelle von Rühe und Kinkel. Den einen kann ich trauen und den anderen nicht. Werner Hajek, Husum

Herr Fischer sagt, daß er „ein gesamteuropäisches Sicherheitssystem jenseits der Militärbündnisse für wesentlich sinnvoller und besser gehalten“ hätte als die Nato- Osterweiterung. Warum steht er dann nicht auch dazu und setzt sich für eine Stärkung und einen Ausbau der OSZE ein, als Alternative zur Nato-Osterweiterung? Denn die nicht militärisch geprägte OSZE könnte ein wesentlich besseres Forum für die Zusammenarbeit mit Rußland bieten, und es kann außerdem nicht länger hingenommen werden, daß die USA die Nato zunehmend zur Wahrung ihrer (nationalen) Interessen benutzen, während sie gleichzeitig durch ihre Verweigerungs- und Blockadehaltung die UNO und auch die für die Zusammenarbeit in Gesamteuropa (einschl. Rußland) so wichtige OSZE lähmen.

Die Argumente, daß eine Abkehr von der Osterweiterung mit den USA nicht machbar sei und daß durch eine ablehnende Haltung der Grünen die Osterweiterung nicht verhindert werden könne, kann mensch doch nicht gelten lassen. Denn seit wann trauen sich die Grünen nicht mehr, eigene Ideen und Vorschläge einzubringen, wenn diese wahrscheinlich keine Mehrheit finden werden. [...]

Die Grünen dürfen ihre bisherigen friedens- und außenpolitischen Ansichten nicht aufgeben. Vor allem nicht mit der Begründung, daß dies die mögliche rot- grüne Koalition 1998 gefährden könne. Derartige Anpassungen zur Erhöhung der Kompatibilität zwischen SPD und Bündnisgrünen machen die Grünen profillos und schaden daher tatsächlich der Wählbarkeit. Es sollte daher weiterhin gelten: Der erfolgten Auflösung des Warschauer Paktes muß so schnell wie möglich die Auflösung der Nato, einem Relikt des Kalten Krieges, folgen, um einer friedlichen Kooperation der Gesellschaften in Europa den Weg zu ebnen. Bleibt nur zu hoffen, daß es aus dem Fundiflügel der grünen Bundestagsfraktion und der Parteibasis genügend Widerstand gegen die mal wieder „ach so realpolitischen“ Vorstellungen Joschka Fischers geben wird. Marco Rieckmann, Beckdorf

[...] Glaubt Herr Fischer etwa, die Nato würde sich unter einem grünen Außenminister zu einem Friedensbund und die schnelle Eingreiftruppe zu einer Heilsarmee entwickeln? Die Nato hat nach dem Zusammenbruch des Warschauer Paktes noch keinen wesentlichen Abrüstungsschritt vollzogen. Sie nutzt vielmehr das Machtvakuum, sich weiter auszudehnen. Sie schafft mit der schnellen Eingreiftruppe sich ein Instrument zur Sicherung ihrer Interessen außerhalb ihres ursprünglichen Einsatzgebietes.

Hier ist Aufklärung notwendig und die Entwicklung einer Alternative zur Sicherung der Interessen gerade auch der Staaten, die vom Ostblock befreit natürlich nach Schutz vor neuer Vereinnahmung suchen. Klägliches Versagen der Grünen in starrer Fixierung auf die Macht. [...] Dieter Burgmann, Hohenstadt

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