piwik no script img

Militärpolitik delegitimieren

■ betr.: „Die Zukunft des Pazifis mus“ von Sibylle Tönnies, taz vom 12./13. 4. 97

[...] Ist es verwunderlich, wenn solche Stellungnahmen sich für mich wie eine Apologie der „New World Order“ George Bushs anhören, die nur noch ökonomische und keine ethischen Interessen mehr kennt?

Die Weltgesellschaft ist keine ethische Forderung mehr, sie ist einfach schon im Begriff, Wirklichkeit zu werden. Der Weltstaat als notwendige Ergänzung der Weltgesellschaft ist allerdings nichts anderes als ein logischer Kurzschluß. Ihn im Namen pazifistischer Ethik zu fordern widerspricht den inneren Gesetzen der Macht. Oder sollte etwa behauptet werden, daß das „Monopol legitimer Gewaltsamkeit“ des Staates alle Konflikte zwischen innerstaatlichen Gruppen friedlich und gerecht gelöst hätte? Es wäre mehr als zynisch, dies zum Beispiel schwarzen Deutschen ins Gesicht zu sagen.

Der „organisatorische Pazifismus“ Ludwig Quiddes ist in seinem Ansatz gerade wegen seiner unrealistisch-optimistischen Einschätzung der Staatsinteressen gescheitert, wie das Ende des Völkerbundes zeigt, und deswegen in seiner reinen Form zu Recht überholt. Sowohl die völlige Verdammung als auch die Heiligsprechung von internationalen, das heißt staatlichen Organisationen übersieht deren grundsätzlich dialektische Struktur des Herrschens und Beherrschtwerdens. Sibylle Tönnies ist im Begriff, genau diesen Fehler zu wiederholen.

Ich selbst engagiere mich immer mehr für transnationale, das heißt nicht staatliche pazifistische Organisationen (zum Beispiel War Resisters International), weil ich sicher bin, daß auch weltweite politische Systeme ohne gesellschaftliche Einflußnahme die Überwindung von Krieg und Armut nicht durchsetzen werden können.

Ich habe es jedenfalls gründlich satt, mir von selbsternannten sogenannten ExpertInnen sagen zu lassen, was die „Friedensbewegung“ tun oder lassen soll. Kai-Uwe Dosch,

DFG-VK Heidelberg

Die Friedensbewegung braucht eine langfristige Orientierung, in der sie Perspektiven und Konzepte für eine zivile gerechte und humane (Welt)Gesellschaft in die Öffentlichkeit bringen kann. [...] Sibylle Tönnies meint, das friedliche Zusammenleben der Menschen und die Wahrnehmung der individuellen Rechte sei nur durch eine Weltgesellschaft zu erreichen, in der die Nationalstaaten auf militärische Mittel zur Durchsetzung ihrer Interessen verzichten. Da stimme ich ihr voll und ganz zu.

Erste Ansätze dazu gibt es bereits, es ist unsere Aufgabe, daran weiterzuarbeiten. Im Rahmen des Vertrages über Konventionelle Stabilität in Europa (KSE) wurden in den letzten Jahren 50.000 Großwaffensysteme in Europa verschrottet. Mechanismen zur Kontrolle der Abrüstungsschritte wurden vereinbart. Viele Probleme der Rüstungskontrollverhandlungen wurden damit gelöst. Eine Fortsetzung der atomaren und konventionellen Abrüstung in Europa wäre ein wichtiger Impuls für weltweite Abrüstung. Wenn wir dieses Ziel erreichen wollen, müssen wir bei uns in der Bundesrepublik mit der vollständigen Abrüstung beginnen, uns für die Abschaffung der Bundeswehr einsetzen. Menschen in anderen Ländern, die eine friedliche Völkergemeinschaft wollen, müssen sich für die Abschaffung ihrer Armeen einsetzen. MIt der Forderung nach Abschaffung des Militärapparates kann der Widerspruch zwischen der Politik der Herrschenden und wirklicher Friedenspolitik benannt werden: die politischen und wirtschaftlichen Interessen oder die Menschenrechte mit militärischen Mitteln durchzusetzen oder auf militärische Gewaltandrohung oder Gewaltanwendung zu verzichten. Eine friedliche Weltgesellschaft, die individuelle Menschenrechte schützt und bewahrt, werden wir erst dann erreichen können, wenn es uns gelingt, die Militärpolitik der einzelnen Staaten zu delegitimieren. Das Ziel nach vollständiger Abrüstung, also auch der Abschaffung der Bundeswehr für eine gerechte, humane und friedliche Welt muß die Friedensbewegung benennen und dafür die Menschen mobilisieren. Siglinde Neher, Flensburg

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen