Konfrontation statt Konsens

■ Steuerreform scheitert, der Wahlkampf beginnt

Das „Jahrhundertwerk“ Einkommenssteuerreform wird dieses Jahrhundert womöglich kaum mehr erleben. Denn gestern ist mehr gescheitert als nur das Gipfeltreffen zwischen Koalition und SPD. Es ist endgültig klargeworden, daß die Divergenz in den Konzepten so gravierend, der Einigungswille so gering ist, daß es auch im Vermittlungsausschuß zu keinem Ergebnis kommen wird. Alle eilfertigen Bekundungen der Koalition, daß die Gesetzgebung nun ohne schuldhaftes Verzögern vorangetrieben werde, können nicht darüber hinwegtäuschen, daß sie auf eine Wand zusteuern. Die Phalanx der SPD-Ministerpräsidenten steht. Und die größere Nähe zur Bundestagswahl wird die Kompromißfähigkeit bestimmt nicht beflügeln, wenn die Reform im Herbst in den Vermittlungsausschuß kommt.

Daß es an dieser Kompromißbereitschaft von Anfang an gemangelt habe, mögen nun die beklagen, die glauben, daß Parteien nur dem Wohl der Sache und nicht auch dem eigenen, sprich der Gewinnung von Mehrheiten, verpflichtet sind. Beide Anliegen sind legitim, und beide wären womöglich nur in einer Großen Koalition angemessen aufgehoben gewesen. Dieser Gedanke wurde frühzeitig verworfen. Man hat es statt dessen mit einer faktischen Großkoalition, den Konsensgesprächen, versucht. Die sind nun gescheitert.

Gescheitert sind auch diejenigen in der SPD, die sich von einer konsensuellen Linie eine bessere strategische Ausgangsposition bei den kommenden Wahlen versprochen haben. Dem steht das Scheitern der Koalitionsbemühungen gegenüber, die SPD in die Gesamthaftung für ihr wirtschafts-, haushalts- und europapolitisches Desaster einzubeziehen. Nun wird die Bundesregierung ein Konzept der Gegenfinanzierung vorlegen müssen, wird bei ihr die eurogerechte Begrenzung des Defizits eingeklagt werden. Ist auch dabei ein Scheitern absehbar, wird sich Lafontaine in seiner konfrontativen Strategie bestätigt sehen. Dann wird sich der Kanzler nur noch auf seine feste Überzeugung stützen können, daß der Konjunkturaufschwung kommt. Das Frühjahrsgutachten widerspricht ihm zumindest nicht. Doch geht es zugleich von einer gleichbleibend hohen Arbeitslosenzahl aus. Und damit wird sich Lafontaine bestätigt sehen. Mit dem gestrigen Tag hat ein langer Wahlkampf begonnen. Dieter Rulff