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Mythos im Zeichen des Weltbildes

■ Im Schnelldurchlauf: Christa Wolfs Medea im Theater 89

Vier Frauen treten auf. Sie tragen das gleiche Kleid und haben denselben Mann. Sie reden viel und kryptisch. Es ist das alte Lied von Frauennot und schlechten Männern. Von einer Beziehung, die ganz offensichtlich im Eimer ist. Doch sonst versteht man wenig. Und hätte man das Buch nicht gelesen, auf dem dieser Abend im Theater 89 basiert, dann bliebe das noch eine ganze Weile so. Erst als die Spielzeit von zwei Stunden schon fast zur Hälfte verstrichen ist, kann man der Inszenierung von Rudolf Kroloc, von dem auch die Bühnenfassung des Christa-Wolf- Romans „Medea“ stammt, einigermaßen mühelos folgen.

Zwei Parteien, Männer und Frauen, kämpfen um die Macht – die Frauen haben den Kampf eigentlich längst verloren. Nur Medea leistet noch letzten Widerstand. Sie entdeckt das Verbrechen, auf dem die Männerherrschaft sich gründet. Dadurch wird sie zur Gefahr für die Männerwelt. Wird kaltgestellt, verbannt, zur Mörderin gestempelt. Ihres Bruders erst, dann ihrer Kinder, die in Christa Wolfs Version des antiken Tragödienstoffs tatsächlich vom Mob gesteinigt werden.

Geschichtsbeschreibung, so die altbekannte These, welche hier noch einmal exemplarisch vorgeführt wird, hängt nicht so sehr von den Fakten ab, wie von der Frage, wer die Macht hat, zu entscheiden: Was bleibt? Christa Wolfs Medea- Fassung stützt sich auf ältere Quellen, weit vor Euripides, der die Königstochter aus Kolchis als grausame Rächerin verewigt hat. Und manche dieser Quellen besagen auch, das der Dramatiker für die Anpassung des Medea-Mythos an ein neues Weltbild vor fast 2500 gut bezahlt worden ist. Doch das ist eine andere Geschichte.

Im Theater 89 haben wir es zunächst mit vier Medeas zu tun – Angelika Perdelwitz, Marina Erdmann, Christina Grosse und Claudia Jacob. Aus dem Damenquartett spalten sich nach und nach die anderen Frauenfiguren ab. Agamenda, einmal Schülerin der Wunderheilerin Medea, jetzt Spionin gegen sie. Medeas Vertraute Lyssa, Glauke, ihre unglückliche Nebenbuhlerin und Merope, die betrogene Königin von Korinth. Männliche Gegenparts sind Jason (Alexander Höchst) und Akamas (Dirk Wägner), der Drahtzieher aller Verschwörungen in der Stadt Korinth. Bühnenbildner Martin Fischer zaubert dem engen Raum des alten DDR-Kulturhauses, in dem das Theater 89 seine Spielstätte hat, erstaunliche Dimensionen. Aber das war's auch schon. Die Theaterfassung von „Medea“ bietet kaum mehr als die Bebilderung des Romans im Schnelldurchlauf. Sie hat ihre Kraft im wesentlichen schon damit verbraucht, den Stoff dramaturgisch in den Griff zu bekommen. Warten wir also, was Wolfgang Engel Anfang Juni in Leipzig aus dem Wolf-Buch machen wird. Esther Slevogt

Vorstellungen am 8., 13./14., 16.–18., 30./31. Mai, 20 Uhr, Theater 89, Torstraße 216

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