: Hirntoter Henker
Der Rotbuch Verlag macht Ernst: Die historisch-kritische Ausgabe von Mickey Spillanes Mike-Hammer-Krimis schreitet unaufhaltsam voran ■ Von Günter Franzen
Wenn irgendwo auf der Welt die Zensur ihr häßliches Haupt erhebt, Druckverbot, Einstampfung und Autorenverfolgung drohen, finden sich immer wieder mutige Buchmacher, die ihr trotzen. Daß es sich im vorliegenden Fall nicht um die römische Inquisition oder die iranischen Mullahs, sondern nur um die eher zahnlose Bundesprüfstelle für jugendgefährdende Schriften handelt, der ein begnadetes Druckwerk abgerungen werden mußte, vermag den Ruhm der in Hamburg ansässigen Drachentöter nicht zu schmälern.
Kurzum: Mit der unzensierten Veröffentlichung von Mickey Spillanes „Ich, der Richter“ hat sich der Rotbuch Verlag knapp fünfzig Jahre nach dem amerikanischen Ersterscheinungstermin um die Freiheit des Wortes verdient gemacht. Und weil das so schön war, legt er gleich ein weiteres Spillane- Werk nach: „Die Töchter der Nacht“.
Nun ist es leider häufig so, daß sich hochgerühmte, wegen politischer, religiöser oder moralischer Anstößigkeit inkriminierte Druckerzeugnisse (z.B. die „Satanischen Verse“, „Das Kapital“, „Ulysses“) bei näherer Betrachtung als konsumentenfeindliche Produkte entpuppen: Der ästhetische oder theoretische Gestaltungswillen der Autoren treibt die schönsten Blüten und verlangt dem zerstreuungswilligen Leser erhebliche, auf dem psychischen Mechanismus des Triebaufschubs basierende Anstrengungen ab.
Wer sich jedoch auf Mickey Spillane und sein Alter ego Mike Hammer einläßt, bedarf keiner Sublimierung und keiner mittleren Reife, ja selbst die dahinsiechende Kulturtechnik des Lesens dürfte sich bei der Einverleibung des Spillaneschen Werkes als Ballast erweisen. Demgegenüber sollte man eine Palette Dosenbier, ein massives Brett vor dem Kopf sowie eine galoppierende Misogynie [na danke, d. s-in] sein eigen nennen, um sich in der schlichten Welt des private eye Mike Hammer so recht von Herzen wohl zu fühlen.
Im ersten Kapitel von „Ich, der Richter“ schwört Mike vor der von einer abgesägten 45er zerfetzten Leiche seines Freundes Jack blutige Rache: „Ich werde dem Killer einen Schuß direkt in die Gedärme verpassen. Und wenn er sich dann sterbend am Fußboden wälzt, werde ich ihm die Fresse eintreten.“ Mit dem Toten, der im Kampf gegen die „elenden Japsen“ den rechten Arm eingebüßt hat, verbindet den Rächer eine in den Stahlgewittern von Iwo Jima gehärtete Männerfreundschaft: „Zwei Jahre hatte ich mit ihm in den stinkenden Schlammlöchern des Dschungels gelegen.“
Im zweiten Kapitel taucht das notorisch weibliche Böse in Gestalt einer als Pin-up-Girl verkleideten Psychiaterin auf: „Lange, feste Beine. Ein wenig schwerer vielleicht, als die Filmfritzen es für angebracht halten, aber so gebaut, daß einem fast die Augen herausfielen. Für eine Frau hatte sie unglaublich breite Schultern und dazwischen pralle Brüste, die sich offenbar gegen jede Beengung durch die Hülle des Badeanzugs wehrten.“
Der Held hat alle Hände voll zu tun, sich das durchweg im Zustand klebriger Läufigkeit geschilderte weibliche Romanpersonal vom Leib zu halten und sich gegenüber der zur Liquidierung freigegebenen Blondine nach geschlagenen 204 Seiten endlich in eine optimale Schußposition zu bringen: „Das Donnern meiner Magnum erschütterte den Raum. Langsam blickte sie herunter auf die häßliche Schwellung in ihrem nackten Unterleib, da, wo die Kugel sie getroffen hatte. ,Wie konntest du nur?‘, keuchte sie. ,Es war ganz leicht‘, sagte ich.“
Im trüben Zwischenlicht der Geschichte betrachtet, könnte man Mike Hammer für einen jüngeren Bruder von Sam Spade und Philip Marlowe halten: Prototypen der einsamen, zynischen Privatdetektive, die in einer normativ aufgelösten Welt darüber verzweifeln, daß Recht und Gesetz keine allgemeinverbindlichen Parameter mehr darstellen. Von diesen Zweifeln, die das von Dashiell Hammett und Raymond Chandler entwickelte Subgenre der hard boiled novel grundieren, wurde der Schrumpf-Hemingway Mickey Spillane nie geplagt. „Die Töchter der Nacht“, der soeben erschienene zweite Band der von Daisy Remus, Lisa Kuppler und Gabriele Dietze angedrohten kritisch- historischen Gesamtausgabe der „klassischen Periode“, belegt, daß der homophobe right wing hackwriter von seinen literarischen Ahnen etwa so weit entfernt ist wie der dumpfe Russenfresser Konsalik von Erich Maria Remarque; daran ändert auch die kluge, von Frau Dietze um den schmuddeligen Gegenstand drapierte Dissertation keinen Deut.
Es ist das gute Recht eines Verlages, der bei der Gründung seiner Krimireihe beschlossen hatte, Spillane wegen „mangelnder politischer und literarischer Qualität“ nicht ins Programm aufzunehmen, sich zehn Jahre später eines Schlechteren zu besinnen. Es ist das gute Recht eines Alchimisten, die Ausscheidungen eines versteinerten Kalten Kriegers unter dem ausgeblichenen Banner des Tabubruchs in pures Gold zu verwandeln. Es ist das gute Recht eines Rezensenten, nahezu unzensiert auf die Unwandelbarkeit des Ausgangsmaterials hinzuweisen. Sch...!
Mickey Spillane: „Ich, der Richter“. Aus dem Amerikanischen von Daisy Remus. Überarbeitet und nach dem unzensierten Original ergänzt von Gabriele Dietze. Rotbuch Verlag, Hamburg 1996. 204 Seiten, 16,90 DM
ders.: „Die Töchter der Nacht“. Aus dem Amerikanischen von Gabriele Dietze und Lisa Kuppler. Rotbuch Verlag, Hamburg 1997. 220 Seiten, 14,90 DM
Gabriele Dietze: „Hardboiled Woman. Geschlechterkrieg im amerikanischen Kriminalroman“. Europäische Verlagsanstalt, Hamburg 1977. 389 Seiten, 39,80 DM
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