: Die geheimen Kerker der Generäle
■ Von 2.000 bis 3.000 AlgerierInnen fehlt jede Spur. Allein in Algier existieren zehn illegale Gefängnisse
Madrid (taz) – 2.000 bis 3.000 Menschen sind in den zurückliegenden fünf Jahren des algerischen Bürgerkriegs nach ihrer Festnahme durch Vertreter des Regimes verschwunden. Zu diesem Ergebnis kommt der Vorsitzende des Internationalen Verbands der Menschenrechtsligen (FIDH), Patrick Baudouin, nach einer einwöchigen Reise in das nordafrikanische Land. „Was uns am meisten beunruhigt, sind die willkürlichen Verhaftungen“, sagt der FIDH- Vorsitzende, dessen dreiköpfige Delegation sich mit Vertretern des Justiz- und Innenministeriums, örtlichen Menschenrechtsgruppen und den Oppositionsparteien traf. Außerdem führten die FIDH-Vertreter zahlreiche Gespräche mit Angehörigen von Opfern des islamistischen Terrors und der staatlichen Repression.
Alleine in der Hauptstadt Algier und den Vororten unterhalten Militärs und die Polizei nach Erkenntnissen der FIDH mindestens zehn illegale Haftanstalten. Ohne jegliche richterliche Kontrolle würden dort mutmaßliche Islamisten festgehalten und gefoltert, berichtet Baudouin. Aus Angst vor Repressalien stellten die Familien der meisten Verschwundenen keine Nachforschungen über den Verbleib ihrer Angehörigen an.
Ein Gefängnisbesuch wurde der FIDH-Delegation verweigert. Doch „selbst die Zahlen, die uns die halbstaatliche Menschenrechtsagentur ONDH zugänglich machte, deuten auf eine erschreckende Überbelegung hin“, sagt Baudouin. „36.000 Festgenommene warten zusammengepfercht in Zellen, die für 23.000 Gefangene vorgesehen sind, auf ihren Prozeß – die Hälfte davon wurde aus politischen Gründen verhaftet.“ Regierung und ONDH leugnen die Vorwürfe: Zwar habe es angesichts der terroristischen Gewalt einige Rechtsüberschreitungen durch Polizei und Militär gegeben, doch gehöre dies der Vergangenheit an, so die Anwort an die FIDH. Verschiedene Regierungserlässe hätten für die deutliche Verbesserung der Situation gesorgt.
Baudouin zweifelt an der Ernsthaftigkeit der Regierungsmaßnahmen. So ließen die vor zwei Monaten groß angekündigten Prozesse gegen der Folter beschuldigter Polizisten und Soldaten noch immer auf sich warten. Und an die bessere Kontrolle der Selbstverteidigungsmilizen durch den angeblich verordneten Zwang, sich auszuweisen, glaubt Baudouin ebenfalls nicht.
Die Milizen – bestehend aus Hunderttausenden, meist jugendlichen Zivilisten, die vom Militär mit Waffen ausgerüstet wurden, um gegen die Bewaffneten Islamischen Gruppen (GIA) Front zu machen – wurden in der Vergangenheit immer wieder beschuldigt, selbst Massaker an der Zivilbevölkerung anzurichten.
„Selbst wenn die Regierung es mit der Reglementierung der Paramilitärs ernst meinen würde, wäre eine wirkungsvolle Kontrolle unmöglich“, meint Baudouin, „denn keiner kennt die genaue Zahl der ausgegebenen Waffen. Reiner Wandler
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