: Pott greift nach dem Pott
Gelsenkirchen dreht durch: „Ein großes Schieß“ von Wilmots bringt den 1:0-Sieg im ersten Uefa-Cup-Finale gegen Inter Mailand ■ Aus auf Schalke Bernd Müllender
Die multinationalen Sprachpuzzeleien nach dem Match waren dem Ereignis eines europäischen Pokalfinales durchaus würdig. Kicker aus immerhin elf Nationen (plus Weltbürger O. Thon) waren im nachbosmanischen Fußballkosmos beteiligt. Und so klang es denn auch: Während in den Katakomben der grandiose Belgier Marc Wilmots wahlweise in Flämisch, Französisch oder Bruchstückdeutsch sein tolles Tor schilderte, lag Babylon an diesem Abend etwas weiter oben: im Presseraum des Gelsenkirchener Parkstadions.
Hier lobte zunächst Schalkes niederländischer Trainer Huub Stevens seine Abwehr, weil sie „die Null hinten gehalten“ habe, und seinen Angriff, obwohl sein frisch rekonvaleszierter Stürmer Max „später etwas vermüdet“ war und er Zweitangreifer Mulder „sehr vermistet“ habe. Dann blickte Stevens optimistisch Richtung Meazza-Stadion in 14 Tagen: „Wir gehen in Milan, um dort auch zu schießen.“
Da wollte Inters Britencoach Roy Hodgson nicht nachstehen und nahm das Heft komplett in die Hand. Er analysierte auf deutsch, unterbrach die italienische Dolmetscherin, um selbst auf italienisch fortzufahren, rückübersetzte später eine italienische Frage ins Deutsche, um auf englisch zu antworten. Was er sagte? „Ein großes Schieß“ von Wilmots habe das Spiel entschieden. Später interviewte ein frankophoner Schwarzer in Englisch den Holländer Stevens – für die Deutsche Welle.
Ansonsten dominierte nur eine Sprache: die des Glücks, und das auf ruhrpöttisch. Das hatte spätestens mit dem Finaleinzug vor zwei Wochen gegen CD Teneriffa begonnen. Was die Medien unter Sozialkitsch und Ruhrgebietsfolklore in unzählbaren Zwischenberichten aufs immer neue ausgelutscht und durchgenudelt haben, war so manchem der 60.000 am Mittwoch abend von den Augen abzulesen: kindliches Glück, schiere erwartungsfreie Begeisterung, hemmungsloses Wirgefühl, bedingungslose Freude. Mit dem Anstoß erhoben sich, wie unsichtbar dirigiert, alle von ihren Plätzen und klatschten einfach im Stakkato los. Ohne Vorgabe. Ohne Anweisung. Einfach so. „Hasta la vista, Schalke finalista“ – dieser Gesang war zwar nur fast italienisch, aber das sind doch Kleinigkeiten, oder?
Zwischendrin intonierte die Haupttribüne immer wieder die neue Hymne „Steht auf, wenn ihr Schalker seid...“ Und wer hätte da sitzen bleiben können? Also wurde alle paar Minuten die Rück- Verstehplatzung des Fußballwesens durchexerziert, gemeinschaftlich choralend. Nach dem Tor geschah dies im Minutentakt. Und nachher, nach sechs Heimspielen im Uefa-Cup, sechs Siegen mit 11:0 Toren? „Dat so wat möchlich iss.“ „Ich fassett nich.“ „Dat dat dat gippt...“ Fußballdeutschland möge wissen: „Könichsblau iss einfach kuul.“ So isset. Und fettich.
Dennoch, berichteten Dauergäste, nach dem Teneriffa-Spiel sei da noch mehr Zauber und Magie herumgeflirrt. Vielleicht ist es berauschender, ein Finale zu erreichen, als es dann Minute für Minute durchzuarbeiten. Auch Manager Rudi Assauer wollte nichts von einem Mirakel wissen. Und wenn, meinte er, müsse man sich auch ein solches erarbeiten. Dem Stadionsprecher war derartige Differenzierung viel zu sophisticated. Er hatte nach dem Schlußpfiff noch einmal das Ergebnis vermeldet: „Schalke 04 schlägt Inter Mailand 1:0“, holte kurz Luft und hauchte noch ein „Ach, geil...“ durchs Rund. Gleich darauf erschien auf der Anzeigetafel der Hinweis „Eine Hand am Pott!“.
Das Spiel? Das war so, wie zwei Teams im Wissen zu Werke gehen, daß es noch ein zweites Match gibt. Geduldig, vorsichtig, abwartend, risikoarm. Bloß alle Chancen wahren. Trotzdem immer prickelnd vollvoltös. Marc Wilmots hatte vorher gesagt, notfalls sei er „auch mit einem 0:0 zufrieden“. Doch in der 70. Minute hatte der Frittenländer alle Vorsicht vergessen und drosch die Kugel aus nachgemessenen 30 Metern einfach drauf. Doppelkurios: Es war dies Schalkes erster Torschuß in einer schwächeren 2. Halbzeit. Und: Wie in den beiden letzten Heimspielen schoß der Belgier das entscheidende Tor. Denkmal- und legendenwürdig ist das längst für ihn. Später werden sie ihn einmal zu Stan Libuda und Ernst Kuzorra ins Grab legen. Schalke unser...
Inter spielte ohne die gelbgesperrten Stars Angloma, Ince und Djorkaeff sehr zurückhaltend, doch freundlicherweise wechselte Coach Hodgson nach einer Stunde Nicola Berti ein. Das Publikum reagierte umgehend mit stadionweiten „Berti raus!“-Rufen. Den Bundestrainer mag man sympathischerweise nicht besonders hier auf Schalke – ist auch eine Provokation, einfach nicht zu kommen, wenn ein deutsches Team ein Europapokalfinale erreicht. Olaf Thon, der nach Monaten serienweise toller Auftritte gerne noch einmal ein nationaler Bertibub geworden wäre, kommentierte die Publikumschoräle mit Genugtuung. O-Ton O. Thon: „Das war doch super.“
Inter Mailand: Pagliuca – Bergomi, Paganin, Galante, Pistone – Zanetti, Sforza, Fresi (62. Berti), Winter – Zamorano, Ganz
Zuschauer: 56.824; Tor: 1:0 Wilmots (70.)
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen