: Qual im Spiegel
■ Georges-Arthur Goldschmidts hält eine Poetik-Dozentur in Hamburg ab
„Sprache ist nichts anderes als die Distanz zwischen mir und dem anderen, lebendige Distanz.“ (Georg-Arthur Goldschmidt)
Die viertägige Poetik-Dozentur des Hamburger Literaturhauses verpflichtet den jeweils damit ausgezeichneten Schriftsteller, über seine Auffassung von Sprache und seine Schreibweise zu sprechen. In diesem Jahr fiel die Wahl von Ursula Keller, der Chefin des Literaturhauses, auf Georges-Arthur Goldschmidt (*1928), den in Paris lebenden Schriftsteller und Übersetzer.
Goldschmidt schreibt: „Ich stehe jeder Sprache, die von mir redet, voran.“ Das heimatliche Reinbek muß er 1938 verlassen – ohne die Eltern. Als Gymnasiallehrer in Paris verdiente er seinen Lebensunterhalt und begann erst sehr spät, literarisch in Erscheinung zu treten. Gleich in seinem ersten Roman Der Spiegeltag (1982) entwirft er ein Bild der eigenen qualvollen Geschichte: Die frühe Flucht, die über ein Kinderheim in Savoyen schließlich nach Paris führt. Peter Handke übertrug den Text ins Deutsche, wie Goldschmidt dessen Bücher ins Französische übersetzt.
Ein weiterer autobiographischer Roman, Ein Garten in Deutschland (1988), versammelt Erinnerungsfetzen Goldschmidts an die Kindheit in Hamburg, bis der Zug ihn fortbringt. Die Absonderung (1991) – in deutscher Sprache verfaßt – zeigt die Schrecken der Zeit im Kinderheim: Der junge Goldschmidt, von Heimweh gequält, muß die Entdeckung durch die Gestapo fürchten und Demütigung und Vergewaltigung durch seine Mitschüler erleiden.
In seinem Essayband Der bestrafte Narziß (1994) erweist sich Goldschmidt einmal mehr als hochreflektierender Autor, für den der Umgang mit Sprache Lebenserhalt bedeutet: „Worte werden immer von jemandem ausgesprochen, den sie nicht ausdrücken. Die Sprache entsteht aus dieser grundlegenden Lücke, die sich durch nichts erfüllen wird.“
Frauke Hamann
Die vier Abende seiner Poetik-Dozentur gliedert Goldschmidt in folgrndr Themenkomplexe: Sprache und Schreiben (Mo), Leben und Schreiben (Di), Malen und Schreiben (Mi) sowie Übersetzen und Schreiben (Do), jeweils um 20 Uhr im Literaturhaus.
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