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Sozis zwischen Schwarz und Grün

■ Regierungskrise sorgt für eine erneute rot-grüne Koalitionsdebatte Von Florian Marten

Bis vor wenigen Tagen war die Welt hamburgischer Rot-Grün- Fans noch in Ordnung. Genüßlich zog man sich die Auflösungserscheinungen der Statt Partei rein. Mit Schadenfreude verfolgte man die Krise der rot-grauen Kooperation. Vielleicht schon von einem Tag auf den anderen, allerspätestens aber 1997 werde es auch in Hamburg endlich auf Rot-Grün hinauslaufen. ÖTV-Chef Rolf Fritsch zum Beispiel mahnte kürzlich öffentlich den Senat, sein gegenwärtiger Kurs in Sachen Verwaltungsreform und Sparen sei angesichts der „geänderten Mehrheitsverhältnisse in der Stadt“, die in absehbarer Zeit auch in „neuen politischen Mehrheiten“ Ausdruck fänden, nicht mehr lange durchzuhalten.

Politische Konturen werden neu gezeichnet: Knochenharte rot-grüne Koalitionsverhandlungen in Nordrhein-Westfalen, ein SPD-Basisvotum für die CDU in Bremen, die Selbstmontage der SPD in Frankfurt, Große Koalitionen in Mecklenburg-Vorpommern und Berlin – die politische Landkarte rings um die rot-graue Stadtstaatsinsel Hamburg färbt sich anders, als die FreundInnen grün-roter Koalitionen einst gedacht haben.

Stadtchef Henning Voscherau wußte es schon immer: Die SPD-Basis denkt und fühlt anders, als es die Funktionäre wahrhaben wollen. Das Bremer Votum bestätigt jene, die in der Parteibuchseele des einfachen Mitglieds Trost suchen. Andererseits: Rot-Grau hätte bei einer Hamburger Basisbefragung im Herbst 1993 wohl keine Chance gehabt.

Hier hätte es, so meinen SPD-Insider, wohl „Bremen andersherum“ gegeben: Den Parteiauftrag an einen Kandidaten Voscherau, es mit Rot-Grün zu versuchen. Voscherau, der damals durchaus mit einer Basisbefragung liebäugelte, hatte deshalb auch eine andere Variante im Sinn: Die Basis sollte ihm das Verhandlungsmandat geben, sich den Regierungspartner auszusuchen, der ihm gefallen würde.

Unabhängig von solcher Kaffeesatzleserei verweisen die bundesweiten Erschütterungen der SPD auf die tiefe innere Spaltung zwischen kleinbürgerlichen Traditionalisten und der Modernisierungsfraktion von neuen Mittelschichten und Akademikern. Fallen in Hamburg die kleinen politischen Helferlein a la Statt Partei oder FDP endgültig weg, dann muß sich auch die Hamburger SPD entscheiden – Große Koalition oder Rot-Grün.

Das rechte Lager, hochbesorgt angesichts des innerparteilichen Durchmarschs der linken Mitte, sichtbar etwa an Parteichef Jörg Kuhbier und seinem Landesvorstand, hat in den letzten zwei Jahren seinem wachsenden Unmut ab und an Luft gemacht: Durch Protest gegen die Besetzung des Landesvorstandes etwa, oder durch rechtspopulistische Gegenentwürfe zu Jörg Kuhbiers Parteireformentwurf. Im Falle einer rot-grünen Senatsbildung in Hamburg scheint nichts unmöglich: Heckenschützenmanöver wie in Frankfurt, Spaltungen wie Bremen, Dauerkrach wie einst in Mompers rot-grünem Berlin, Bauchschmerzen wie im bislang monopolistisch regierten Ruhrpott. Eher unwahrscheinlich, so meinen politische Beobachter, seien jedoch Chaosmanöver nach Frankfurter oder Bremer Art: „Die Hamburger Sozialdemokraten sind disziplinierter, nicht so flippig.“

Statt dessen wartet die Karte einer Großen Koalition, obwohl vom Gewerkschaftsflügel bislang strikt abgelehnt, auf ihren Einsatz. Dafür steht schon Holsten- und Handelskammerchef Klaus Asche, dessen Einfluß auf Voscherau kaum überschätzt werden kann. Problematisch für die Fans von Schwarz-Rot ist jedoch die CDU selbst: Seit dem geplatzten gemeinsamen Deal zu Diätenerhöhung und Politiker-Renten im Jahr 1991 ist die klammheimliche Große Koalition im Rathaus angeschlagen.

Dennoch: Hamburgs CDU ist kein schwarzer Frosch, der nur auf die rote Prinzessin wartet, um sich auf die Senatsbank hinaufküssen zu lassen. Die smarte CDU-Hoffnung Ole von Beust hat den roten Filz innerlich so satt, daß der Flirt mit den Grünen mehr als nur taktische Spielerei ist. Vielleicht nimmt die Basisbefragung 1997 sogar einen ganz neuen Dreh: Grüne und schwarze Parteimitglieder müßten dann entscheiden, ob sie ihren Parteispitzen die Aufnahme grün-schwarzer Verhandlungen erlauben.

An der Orientierungskrise der SPD ändern solche Gedankenspiele nichts. Kein Rezept verspricht den Sozis derzeit Heilung: Mal stürzt Rot-Grün die Partei in den Abgrund (Frankfurt, Berlin), mal in den Himmel (Niedersachsen) – auch das Überwintern mit absoluter Mehrheit (Nordrhein-Westfalen) oder per Rot-Grau (Hamburg) schützt nicht vor herben Verlusten – von Großen Koalitionen ganz zu schweigen. Nur der unermüdliche oberste Parteiarbeiter und SPD-Landeschef Jörg Kuhbier buddelt verzweifelt nach Licht im Tunnel: Allein ein inhaltlicher und organisatorischer Erneuerungsprozeß, so sein Credo, kann die SPD aus ihrer Sinn- und Orientierungskrise führen.

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