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Kavaliersstart mit Festungsarchitektur

■ taz-Serie: Ist die Hamburger Innenstadt ein vitales Zentrum oder eine tote Vision? Heute 1. Teil Von Till Briegleb

1961 erschien in den USA Jane Jacobs „The Death and Life of Great American Cities“, 1963 folgte die deutsche Übersetzung. Dieses Buch schlug bei den Stadtplanern in aller Welt ein wie eine Bombe, denn Jacobs lieferte damit eine bis heute gültige Analyse der Funktionsfähigkeit von Städten und Stadtvierteln, die gründlich mit den gängigen Vorstellungen von Stadtplanung aufräumte. Ihr Credo, daß nur eine prinzipiell nutzungsgemischte, stark verdichtete und architektonisch vielfältige Stadt mit den neuzeitlichen Problemen von Metropolen fertig wird, stellt auch heute noch für viele funktionale Stadtplaner eine ungeheure Provokation dar. Denn noch immer denken viele Planer in dem antiurbanen Ideal der Moderne von der entmischten und luftigen Stadt und finden in der gängigen Investorenhaltung, die aus Renditegründen monofunktionale Megastrukturen bevorzugt, Partner für diese ordentliche, aber tote Vision.

Zwar ist die Analyse von Jane Jacobs in der Architekturkritik und seit einigen Jahren auch unter Stadtplanern wieder in Mode, aber die praktischen Resultate sind doch oft sehr gering. Auch in Hamburg spricht man seit Anfang der achtziger Jahre und verstärkt seit der Gründung der Stadtentwicklungsbehörde wieder von innerer Verdichtung, Nutzungsmischung und öffentlichem Raum. Durch Senat, Behörden, Architektursymposien und Presse geistern die Erkenntnisse der amerikanischen Kritikerin und ihrer theoretischen Nachfolger, modifiziert auf europäische und Hamburger Belange. Doch hat es etwas genützt?

Nun, wo das innerstädtische Krangewitter langsam ausdonnert und viele Projekte, die Anfang der achtziger Jahre mit einiger Euphorie auf den Weg gebracht wurden, zum Abschluß gekommen sind, ist der Zeitpunkt gekommen, einmal zu untersuchen, ob Hamburgs Innenstadt durch die vielen Neuerungen ein vitales Zentrum oder eine kapitalistische Totgeburt geworden ist. In einer mehrteiligen Serie werden wir uns der Frage „Die Hamburger Innenstadt – Zentrum oder Zombie?“ von verschiedenen Seiten nähern. Dieser erste Teil beschäftigt sich mit dem bei der Umgestaltung der Innenstadt aktivsten Architekturbüro „Kleffel, Köhnholdt, Gundermann“.

Zehn fette Jahre

Ungefähr zeitgleich mit den entscheidenden Weichenstellungen für die boomartige Verwertung innerstädtischer Baulücken 1984 gründete sich das Architekturbüro Kleffel Köhnholdt (seit 1991 Kleffel Köhnholdt Gundermann). Den lange Jahre im Büro Graf, Schweger & Partner tätigen Architekten gewährte man sofort einen Kavaliersstart. Innerhalb kürzester Zeit bestimmten sie neben den alteingesessenen Büros das Baugeschehen der Stadt.

Die Spur ihrer explosiven Popularität zieht sich räumlich ziemlich exakt in Ost-West-Richtung durch die Stadt. Zwischen den beiden Gebäuden für die Ausländerbehörde an der Amsinckstraße (und einem für 1996 geplantem Bürohaus in der Spaldingstraße) bis zur Neuen Flora am Holstenbahnhof reiht sich ihr Schaffen an der deprimierendsten Verkehrstangente, die Hamburg besitzt. Eine Fahrt zwischen diesen beiden Punkten läßt einen die erstaunliche Zahl von 19 fertigen oder im Bau befindlichen Projekten des Büros zählen: das runde Danske Hus neben Fritz Högers Chilehaus, der monumentale Neue Dovenhof an der Brandstwiete, ein Kontorhaus in der Deichstraße, ein Bürohaus im Neuen Burstah, die noch im Bau befindliche Kehrwiederspitze, zwei Kontorhäuser am Herrengrabenfleet, sechs Gebäude um den Michaelishof am Großneumarkt, das Hotel Hafen Hamburg und in Kürze der Büroriese am Millerntor (Um- und Anbauten nicht mitgezählt). Gemeinsam ist all ihren Großplanungen eins: Sie befriedigen die Wünsche der Investoren nach größtmöglicher Rendite und vernichten dabei die Chancen für die Entwicklung eines vitalen Stadtorganismusses in großem Stil.

Die Wand

Das zentrale Gestaltungsmittel von Kleffel Könholdt Gundermann ist die Wand. Trotz der zwanghaften Verwendung von Markenzeichen (wie Bullaugfenstern, staksigen Betonsäulen und Flugdächern), bestimmt die hermetische Ausstrahlung, die durch glatte Lochfassaden mit Klinkertapete in Rot oder Gelb erreicht wird, den Ausdruck ihrer Architektur. Sei es bei der Neuen Flora, die jede Tradition von Theaterarchitektur ignoriert, beim Neuen Dovenhof, der seinem Namensgeber, Hamburgs erstem Kontorhaus von Martin Haller (1886), in jeder nur denkbaren Beziehung Hohn spottet, oder bei den Bürohäusern am Großneumarkt, in denen sich ihre eigenen Räume befinden – die Architektur von Kleffel, Könholdt, Gundermann ist beinahe immer Festungsarchitektur. Als sei der Mensch auf der Straße dem Büroarbeiter kriegerisch gesinnt, verschanzen sie ihre monofunktionalen Gewerbeflächen hinter Fassaden, die in Augenhöhe an steinerner Eintönigkeit nicht zu überbieten sind, die Vermittlung oder Transparenz zwischen innen und außen nur als stilistischen Gimmik zulassen und für die öffentlicher Raum ein unverstandenes Fremdwort ist.

Man mag die regionaltümelnde und ideologisch vorbelastete Verwendung von rotem Klinker und die damit verbundene Erzwingung eines harmonischen Stadtbildes (in der Architekturgeschichte immer ein Kennzeichen für despotische Entwicklungspolitik oder geschlossene Gesellschaften) ablehnen, man mag den stilistischen Kompromiß zwischen Hamburger Nachkriegsmoderne, nautischer Symbolik und Rationalismus, insbesondere in seinem begrenzten Vokabular, für architektonisch minder wertvoll halten – das wirklich folgenschwere an der Architektur von Kleffel Köhnholdt Gundermann ist die Kriegserklärung an den öffentlichen Raum und seine potentiellen Benutzer.

Krieg dem Fußgänger

Öffentlicher Raum hat eine architektonische und eine stadtplanerische Komponente, die sich aber oft verschränken. Der Architekt muß Anreize für Menschen schaffen, sich bei dem Gebäude aufzuhalten. Das kann durch Platzgestaltung geschehen, muß aber nicht, denn der wichtigste öffentliche Raum ist die Straße. Andere und ergänzende Mittel sind Geschäfte, Kulturorte, Attraktionen oder Ausblicke. Die Stadtplanung wiederum muß ermöglichen, daß ein Gebäude in einem Geflecht von Nutzungen steht, die dafür sorgen, daß Menschen nicht nur zu Stoßzeiten einen Anlaß haben, dort zu verkehren. Ein rund um die Uhr belebter öffentlicher Raum ist der sicherste Indikator für einen funktionierenden Stadtteil. Doch nur dort, wo gewohnt, gearbeitet und gehandelt wird, kann die Straße mehr sein als ein Verkehrsweg (manchmal reichen auch zwei Nutzungen, aber dann nur für beschränkte Zeiten).

Beide Komponenten finden keinen Eingang in die Entwurfsarbeit von KKG, selbst dort, wo es behauptet wird. Einige Beispiele: Die großzügige Platzsituation, die sich am Millerntor nach der Sprengung des Iduna-Hochauses bietet, wird von ihnen nicht wahrgenommen und komplett überbaut. Dort aber, wo sie Plätze anlegen, wie beim Neuen Dovenhof, geschieht dies im inneren und ausschließlich für die Mieter. Auch die Chance, durch Läden einen Anziehungspunkt zu liefern, der weitere Ausstrahlung auf die Umgebung hätte, wird in fataler Weise vernachlässigt. Da sich die Außenorientierung von KKG nur auf das Auto bezieht, gegen das man die Büromieter schützen muß, vermauern sie die Erdgeschoßzonen so endgültig, daß selbst eine einsichtige Stadtplanung hier später keine Chance mehr hat, aktiv zu werden. Nicht nur an der Ost-West- und Amsinckstraße, die ja durch Verkehrsdrosselung und die technisch längst mögliche Einführung abgasfreier, leiserer und langsamerer Autos irgendwann zum Boulevard zurückgebaut werden könnte, versiegeln KKG die Bürgersteigzonen (selbst die benachbarten Gebäude der Nachkriegsmoderne weisen noch Ladenzonen auf). Auch da, wo letzte Reste großstädtischen Lebens sich in der Innenstadt tummeln, wie am Großneumarkt oder der Fleetinsel, machen KKG die Schotten dicht. Wenn man sich dann irgendwo doch einmal zu Nutzungsmischung durchgerungen hat, wie bei dem megalomanischen Sonninhofprojekt in Hammerbrook, entwirft man Megastrukturen, die keinerlei Verflechtung mit dem Umfeld provozieren. Wohntürme auf Bürosolitären sind nichts als eine schicke Verdorfung am Himmel.

Wahre Hamburger Traditionen

Gerechterweise muß gesagt werden, daß KKG nicht das einzige Hamburger Architekturbüro sind, das sich an der Vernichtung von öffentlichem Raum beteiligt, aber sie sind im Moment am effektivsten. Ihr Verständnis von Urbanität – und das läßt sich ausführlich in einer gerade erschienenen Monografie über das Büro nachlesen – erschöpft sich augenscheinlich darin, Blockränder zu schließen und dabei fragwürdige ästhetische Akzente zu setzen. Als „Künstlerarchitekten“, die den Stadtraum nur räumlich-ästhetisch erfassen, taucht der Mensch als Bezugspunkt von Architektur – ganz im Gegensatz zum Auto – bei ihnen nirgendwo auf. Gedanken über die Funktion von Stadt fehlen – selbst bei der Neuplanung von Stadtteilen wie in Lübeck – ebenso wie eine kritische Reflexion der eigenen Arbeit.

Natürlich wird als Begründung für derartig geschlossene Strukturen immer der anonyme Investor genannt, der auf Grund zu hoher Grundstückspreise und eigener Gewinnlogik gezwungen sei, hochverdichteten Büroraum zu bauen. Doch genau hier ist die gesellschaftliche Verantwortung des Architekten für die vitalen Interessen der Stadtbewohner laut gefragt. Wenn sich Investorenlogik schon nicht um eine vernetzte, lebendige Stadt kümmert, dann sind Architekten, die dem keine Prinzipien entgegensetzen, Mittäter an der toten Stadt.

Die Architektur von KKG aber leistet nur wenig mehr, als den Auftraggebern schmucke Etikette zu besorgen, fundamentiert damit aber die Fehler früherer Stadtplanung und vertieft sie noch. Die im 19. Jahrhundert begonnene und von den Stadtplanern der Nachkriegszeit fast zur Vollendung gebrachte, fatale Umwandlung der Hamburger Innenstadt von einer Wohn- und Handels- in eine reine Geschäftsstadt findet in Büros wie KKG ihre abschließenden Terminatoren. Und darin zeigt sich weit mehr eine Hamburger Bautradition als in der historisierenden Verwendung von rotem Klinker.

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