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Spritze, Nadel oder Pille?

■ Heuschnüpfler haben die Qual der Wahl zwischen einer Vielzahl von Therapien. Ein Streifzug durch die „Lyrik“der Behandlungsmethoden

„Ich fühl mich wie eine Pinnwand.“Manfred K. seufzt, als er von der Akupunktur kommt. Aber er will nun mal keine Tabletten gegen seinen Heuschnupfen schlucken. Dabei ist der 37jährige keineswegs esoterisch gewickelt: „Wenn mein Arzt von Energiebahnen redet, schalte ich auf Durchzug, das ist Lyrik.“Manfred erträgt auch die, solange das Nadeln hilft. Und das tut es. Die Birken blühen, was das Zeug hält, und Manfred K. fährt Fahrrad, ohne daß Augen und Nase triefen.

Jahrelang hat er den Heuschnupfen erduldet. Bis er keuchend bei einem Osterausflug auf einer Bank zusammensank. Allergisches Asthma. Ein typischer Krankheitsverlauf, sagt Ingrid Voigtmann, Beraterin beim Deutschen Allergie- und Asthmabund in Mönchengladbach. „Wer den Heuschnupfen nicht behandeln läßt, riskiert, daß sich auf Dauer ein Etagenwechsel vollzieht, daß sich die Symptome von den Augen und den oberen Atemwegen in die Bronchien verlagern.“

Nur, wie wird der Pollenschnupfen richtig behandelt? Wer sich umhört, dem schwirrt bald der Kopf. Die einen schwören auf die klassischen Methoden: Hyposensibilisierung und medikamentöse Behandlung mit Antihistaminika. Die anderen auf Akupunktur, Eigenblutbehandlung, Homöopathie, Neuraltherapie, Bioresonanz.

Andrea H. entschied sich für die Hyposensibilisierung. Da zahlt die Kasse alles, und die Methode verspricht Abhilfe auf Dauer. Die Hyposensibilisierung soll weniger (hypo) empfindlich (sensibel) machen, indem das Allergen während der pollenfreien Zeit, also im Winter, in steigenden Dosen in den Arm gespritzt wird. Welches Allergen der Hauptfeind ist, zeigt ein Hauttest. Der Allergologe träufelte 20 Pollenextrakte auf Andreas Unterarm, ritzte die Stellen mit einem Messerchen. Alsbald erhoben sich unter den Tropfen mit Birke, Hasel und Erle dicke Quaddeln. Allerdings müssen die Patienten viel Zeit und Disziplin mitbringen. Anfangs bekommen sie wöchentlich, später monatlich eine Spritze, und das drei Jahre lang. Der genaue Wirkmechanismus der Hyposensibilisierung ist noch immer nicht eindeutig geklärt, doch rund 80 Prozent der so behandelten Heuschnüpfler haben anschließend weniger bis gar keine Beschwerden.

Doch es hat Todesfälle bei der Behandlung gegeben. Rund ein Dutzend in den letzten zehn Jahren, sagt Gerhard Schultze-Werninghaus, Sprecher der Deutschen Gesellschaft für Allergologie und Klinische Immunologie in Bochum. „Aber die wären alle vermeidbar gewesen.“Bevor der Arzt die Dosis erhöht, muß er den Patienten fragen, wie er die letzte vertragen hat und ob er derzeit an einer Infektion leidet. Bei einer schweren Erkältung etwa darf die Allergendosis erst einmal nicht gesteigert werden. Außerdem muß der Patient nach jeder Spritze noch eine halbe Stunde in der Praxis bleiben, damit der Arzt bei einem allergischen Schock sofort eingreifen kann.

Viel weniger riskant ist ein weiterer Klassiker der Heuschnupfenbehandlung, die medikamentöse Dämpfung der akuten Symptome. Bekannt und lange Zeit verrufen: die Antihistaminika. Doch die zweite Pillen-Generation soll nicht mehr müde machen. Mittlerweile ist außerdem ein angeblich fast nebenwirkungsfreier Wirkstoff auf dem Markt, das DNCG (Dinatrium Chromoglicicum). DNCG-Präparate müssen allerdings bereits zwei Wochen vor dem Heuschnupfenausbruch eingenommen werden. Dazu muß man also seine Pollenfeinde kennen und einen Pollenflugkalender haben.

Katrin F. hat es mit Medikamenten versucht. Als der 25jährigen Studentin das Gesicht zuschwoll, sie nachts nach Luft japste, verschrieb ihr der Hausarzt Antihistaminika. Die wirkten genau ein Jahr lang. Sie wechselte die Präparate, immer wieder. Und immer wieder ließ die Wirkung nach. So fand Kat-rin zur Akupunktur. Und die Kasse zahlte, da die klassische Behandlung offensichtlich nicht geholfen hatte. Zehn Sitzungen ließ Katrin über sich ergehen. „Das ist anstrengender als ein Saunabesuch. Und neben der Nase tut es weh, da schießen mir jedesmal die Tränen in die Augen.“Aber schon nach dem ersten Nadeln konnte sie wieder frei durchatmen, schließlich ganz auf Tabletten verzichten.

Dazu empfahl ihr der Akupunkteur noch eine Eigenbluttherapie. Bei diesem alten Naturheilverfahren wird eigenes Blut entnommen, aufbereitet und wieder gespritzt. Dadurch soll die Selbstregulation des Organismus angeregt werden. Man nimmt an, daß die im Blut befindlichen Eiweißstoffe durch den kurzen Aufenthalt außerhalb des Körpers so verändert werden, daß sie dann im Organismus eine schwache Abstoßungsreaktion bewirken. Heute fühlt sich Katrin widerstandsfähig wie nie.

Trotz dieser Erfolge ist die Wirksamkeit der Naturheilverfahren bei Schulmedizinern umstritten. Gerhard Schultze-Werninghaus, Professor und Sprecher der Gesellschaft für Allergologie und klinische Immunologie: „All diese Komplementärbehandlungen mögen wirken, aber Sie dürfen nicht vergessen, daß ein Drittel der Patienten durch den Placeboeffekt geheilt wird.“Also durch die „Droge Arzt“oder den bloßen Glauben.

„Ach was“, sagt Wolfram Stör vom Vorstand der Deutschen Ärztegesellschaft für Akupunktur in München, „mit dem Placeboeffekt läßt sich zumindest die Akupunktur nicht vom Tisch wischen.“Studien an den Unis München, Heidelberg und Dresden hätten deren Wirksamkeit nachgewiesen. Sogar eine Doppel-Blindstudie habe es gegeben, um die Placebo-Rate herauszufiltern: In München funktionierte absichtlich einer der Akupunkturlaser nicht, weder Arzt noch Patient wußten davon.

Ergebnis der Studien: Akupunktur lindert die Beschwerden bei 60 Prozent der PatientInnen und beseitigt sie bei 25 Prozent. Wenn denn drei Winter lang akupunktiert wird. Solche Erfolge haben sich herumgesprochen. „Wir erleben eine beeindruckende Zunahme bei Ärzten, die Akupunktur erlernen wollen“, berichtet Wolfram Stör.

Der akupunkturerfahrene Manfred K. kann sich über den Hickhack zwischen medizinischen Funktionären nur ärgern. „Was soll das Rumgezweifel, wenn die Leute schon seit Jahren beschwingt von der Akupunktur in den Sommer hüpfen.“Ob er nun zu jenen Patienten gehört, die allein durch Placeboeffekt geheilt wurden, ist ihm letztlich egal. Christine Holch

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