Nicht links, nicht rechts, sondern vorne

■ betr.: „Jenseits von links und rechts“, taz vom 3./4. 5. 97

Warnfried Dettling meinen wärmsten Dank für seine kleine politische Koordinatenlehre. Vorbei die Zeit, in der die bloße Richtungsbezeichnung die neukonservative Hegemonie anzweifelte. Vorüber die Peinlichkeit, lechts und rinks verwechseln zu können und dazustehen als der Depp, der man doch ist. Nicht links, nicht rechts, sondern vorne, lautet die vorwärtsweise Parole, die Kulturschaffende wie Jean-Marie Le Pen bekannt und beliebt gemacht hat. Daß links kaputt ist, seit die SU verendete, ist den Rechten ein Gemeinplatz – aber was ist dann eigentlich noch rechts, wenn es das Gegenstück dazu nicht mehr gibt? (Hierüber schreibt Ernst Nolte ganze Bücher.) Und überhaupt: Fortschritt! Die Sozialstaatsverteidiger kleben an der Vergangenheit, sind deshalb konservativ, rechts und stützen nur den „Protektionsimus der Arbeitsplatzbesitzer“. Recht so! Soll mir doch bloß einer mit dem Monopol der Produktionsmittelbesitzer kommen. Von wegen Dispositionsrecht über Kapitaleinsatz, Arbeitsplatzabbau und Betriebsschließungen. Solche Geschichten, die gibt's doch gar nicht mehr (wegen zerbrochener Ideologien, vergossener Tränen, durcheinandergewirbelter Kategorien, Herrn Dettling usw.).

Trotzdem hege ich einen leisen Verdacht. Unbeschadet seiner politischen Herkunft steht Herr Dettling womöglich doch da, wo früher (einst!) einmal rechts war. Denn wer sich so eloquent um den „sozialen Zusammenhalt“ aller sorgt, damit die „wirtschaftliche Dynamik“ einiger weniger funktioniert, muß schon interessehalber das Rechts-links-Schema als Matrix politischer Alternativen verleugnen. So war es früher, so ist es heute, so wird es künftig sein. Andree Slickers, Berlin

Warnfried Dettling mag sicher recht haben, wenn er den deutschen Parteien Betonköpfigkeit bescheinigt. Wenn er ihnen aber Tony Blairs „New Labour“ als leuchtende, zukunftsträchtige Alternative gegenüberstellt, hat das fast etwas Zynisches angesichts dessen populistischer Inhaltslosigkeit. Denn daß so viele britische Wähler diesen – nur mit emphatischen Versprechungen gedeckten – Blankoscheck unterschrieben haben, liegt wohl eher daran, daß der „New Labour“-Mann mit denkbar geringem Abstand das kleinere Übel war und eben seine Hände in Unschuld waschen konnte – aber nur, weil er bis jetzt keine Gelegenheit hatte, irgend etwas anzurichten. Wo soll denn im Ergebnis auch der Unterschied sein zwischen einer Politik, die sich mit kriminellem Enthusiasmus in den kapitalistischen Strudel stürzt, und einer, die unter aufmunternden Beschwichtigungen und „pragmatischen“ Verweisen auf die vielbeschworenen Sachzwänge langsam hineinwatet.

Dettling macht es sich schon ziemlich leicht, die „Linke“ auf den Schrottplatz der Geschichte zu schmeißen, ohne ein einziges Mal zu erwähnen, was er damit denn eigentlich genau meint. Daß man Leute wie ihn aber nicht auf die leichte Schulter nehmen darf, zeigt schon die Tatsache, mit welchen Zeitgenossen er solche Weisheiten, wie diejenige von den „an der Wirklichkeit zerbrochenen alten Ideologien“, gemeinsam hat.

Die Legende vom Dritten Weg ist schon oft strapaziert worden, aber die Dettlingsche Version davon: „das Beste aus einer veränderten Lage zu machen“, stellt ein selten durchschaubares Beispiel von Unterwerfung unter Marktinteressen und vermeintlichen „Notwendigkeiten“ dar. [...] Florian Suittenpointner,

München