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Kritik an Frankfurt Von Thomas Gsella

Früher griffen Menschen, die notieren wollten, was die Welt an austauschbaren Sensationen für sie auftischt, zum Tagebuch und gingen allerlei Berufen nach. Heute heißen sie Autoren oder sogar Kolumnisten, veröffentlichen ihren privatimen Quark in Zeitungen, beginnen jeden Text mit „kürzlich“ und erhalten Ehrenlohn, das sogenannte Honorar. Der Leser ehrt diese Autoren, weil sie ihm stets neu beweisen, daß auch Schriftgelehrte niemals etwas anderes erleben als er selbst. „Genau so isses“, juchzt der Leser, sobald der Autor halbwegs auszudrücken weiß, was sich der Leseresel immer schon, und das heißt: nie gedacht hat. Oberfaul und blöd sind beide, Komplizen der Verdummung, ein regressives Zweierpack von Gottes Gnaden. So. Das mußte jetzt aber mal raus.

Kürzlich saß ich mit meinen Lebensabschnittspartnern Heribert und Martin in einem Frankfurter Oben-ohne-Café und wollte was zu essen kriegen. Pardon: Freiluftcafé. Es war ein Uhr und vier Sekunden, am Himmel schien die Sonne, um halb eins war ich aufgewacht, der Magen schrie nach Croissant und Eiern. „Stimmt genau! Kenn' ich!“ Um zwei Uhr war dann immer noch nix da, kein Essen nicht, kein Trinken nicht. Dabei hatte ich längst Kaffee „au lait“ bestellt. „Au lait? Hab' ich auch letztens!“ So wurd' ich zum Vulkan. Das Magma meiner Wut stieg mir zum Hals, Rauch kam mir aus dem Mund getanzt, das war aber die Zigarette. Um halb drei auch noch nix. Alle zehn Minuten kam zwar eine frankfurt- und, ja leider, hessentypisch stinkende Drecksarschlochsau mit unausstehlich strahlend weißem Nylonhemd und ebensolchem Kellnergrinsen sowie auch einem ochsendummen Zopf am hohlen Kopf an unsern Tisch und – Augenblick mal! Stopp!

So schlimm war der doch gar nicht. Nein, soo schlimm bestellt war es um diese klebrige und zu einer Auskunft betreffs Wartezeit auch nicht im Ansatz fähige Bedienerwanze gar nicht. Lurchstumm huschte er an uns vorbei, sich windig, ängstlich schlängelnd, gleichviel gedemütigt und stolz, gehetzt und jene klafterdicke Menschenwürde mimend, mit der sich unterjochte Kellner über Wasser halten, immer was auf dem Tablett, aber außer allerlei Getränken nie etwas für uns, die meisten andern Gäste schoben sich zufrieden Pökelwachteln rein in ihre frankfurttypisch feisten moderigen Blutinvestmentpaperfressen – es war frappant zum Kotzen. Ich hatte Riesenhunger! Ein Ei, Señor, ein Ei!

Es kam nicht. Um kurz vor drei hielt ich den widerlichen Kellnerknallsack an und stellte ihn zur Rede. Das Ergebnis: Es gehe halt nicht schneller; die Küche sei zu klein, zusätzliche Arbeitskräfte würden nicht bezahlt, ein Anbau koste angesichts der Frankfurter Bodenpreise ein Vermögen. Da wußte ich halt wieder mal: Ich bin in – Abs-Stadt! Frankfurt, dachte ich, ist Bankburt! Sodom und Pompeji! Hauptstadt der Bewegung! Altes, mörderisches Hitlernest am Main! Inzwischen hatten (in Ermangelung von Brötchen) Martin, Heribert und ich in summa vierzehn Hefeweizen aufgegessen, alles ging uns kolossal am Arsch vorbei. „Ja ja, der Alkohol!“ Langsam nahm die Mittagssonne ihren Lauf, versank bald hinter Häusern, eine nektarinenrote Abendsonne tauchte auf, dann war es dunkel. Wir bestellten Abendessen, und es kam. Ein schöner Tag.

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