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Pension Kohl: Die Schlacht

Die Bühnen Berlins machen einen Spagat zwischen Hauptstadtkultur und Provinzportemonnaie. Das Motto: Survival of the fittest  ■ Von Kolja Mensing

Die Theaterstadt Berlin wartet auf Claus Peymann. Der jetzige Intendant der Wiener Burg wird in zwei Jahren die Chefetage am Schiffbauer Damm beziehen: um das Berliner Ensemble, den ausgehöhlten Brecht-Kasten, künstlerisch instand zu setzen oder vielleicht sogar abzureißen und auf neuem Theaterfundament wieder aufzubauen.

Noch mehr als auf den Starregisseur und angegrauten Bürgerschreck hofft man in Berlin allerdings auf einen gewissen Helmut Kohl: Bundeskanzler und langjähriger Oberspielleiter im Regierungstheater Bonn. Sein Haus zieht in zwei Jahren um – an die Spree, gar nicht so weit entfernt vom Berliner Ensemble. Besondere ästhetische Leistungen erwarten die heruntergesparten Theater der Hauptstadt von Dr. Kohl nicht – nur eine ganze Menge Geld.

Der zuständige Senator Peter Radunski will bis zum Jahr 2000 den Kulturetat um 100 Millionen Mark abrüsten. Doch bereits in diesem Jahr sehen die Theater die untere Grenze der Sparmöglichkeiten erreicht. Überall wurde Personal entlassen, bestehende Tarifverträge auf Dehnfugen überprüft und – in Erwartung noch schlechterer Zeiten – Geld auf die hohe Kante gelegt. Die Kürzungen fallen auf das künstlerische Angebot zurück: Das Deutsche Theater wird in der kommenden Spielzeit sein Repertoire von 40 auf 24 laufende Inszenierungen zusammenstreichen, das Maxim Gorki Theater wird vom täglich wechselnden Spielplan absehen und seine Produktionen blockweise anbieten.

Und auch Jürgen Schitthelm, Direktor der Schaubühne, sieht das Ende der innerbetrieblichen Flexibilität erreicht: Wenn dort noch weiteres Personal abgebaut werde, wisse er nicht, wie das Vorstellungssoll gehalten werden soll. Im Kultursenat sei man sich dessen bewußt, so Schitthelm, konstruktiv könne man die Zusammenarbeit allerdings nicht nennen: „Hier geht es um rigide Kürzungen, die einseitig verfügt werden. Schluß, aus.“

Senator Radunski mag nicht länger allein verantwortlich sein und versucht den Ausbruch aus dem Finanzdesaster: Offensiv geht er die anrückende Geldquelle „Bundesmittel“ an. Radunskis Rettungsszenario trägt den Titel „Nationaltheater“ – vier ostberliner Kulturinstitutionen sollen unter diesem Titel zusammengefaßt werden: die Komische Oper, die Staatsoper, das als Konzertsaal genutzte Schauspielhaus am Gendarmenmarkt und die Renommierbühne Deutsches Theater. Die Bezeichnung „Nationaltheater“ klingt altbacken und reaktionär: eine Mischung aus Lessing und Wilhelm Zwo; doch paßt der Name ins finanzstrategische Kalkül: Für Nationalkultur ist naturgemäß nicht ein Bundesland, sondern die ganze Republik zuständig. Sprich: Kohl soll zahlen.

Am Deutschen Theater, einem der sogenannten „Leuchttürme“ der Kulturlandschaft, nimmt man das Projekt ganz selbstverständlich hin. Dort sieht man sich als Großkunstbewahrer mit Qualitätsgarantie – und weiß um den Erfolg des Hauses: Wenn der Berliner Tourist einen Theaterabend ins Besuchsprogramm einschieben will, ist das Deutsche Theater die erste Wahl. Megaprojekte wie Botho Strauß' „Ithaka“ oder Peter Handkes „Zurüstungen für die Unsterblichkeit“ sichern den Anschluß an den größeren Kunstdiskurs – und ein aufwendiger Gästeetat sorgte bisher dafür, daß selbst Nebenrollen mit hochkarätigen Schauspielern besetzt wurden.

Das soll so weitergehen, findet Rosemarie Schauer, als stellvertretende Intendantin für die Finanzen des Hauses zuständig. Wenn der Bund über das Projekt „Nationaltheater“ groß ins Deutsche Theater einsteigen würde, wäre ihr das nur recht. Ein Hauptstadt-Kulturvertrag soll nicht nur Planungssicherheit verschaffen, sondern auch Prioritäten setzen: „Die Kulturpolitik muß ganz klar sagen, was sie hier in der Stadt fördern will.“

Im Klartext heißt das: Berlins Bühnen werden sich in naher Zukunft einen harten Verteilungskampf liefern. Denn die anvisierten Bundesmittel werden kaum ausreichen, um sie gleichmäßig über allen Theater- und Opernhäusern der Stadt auszuschütten. Siebenmal öffentliches Subventionstheater, dazu die als GmbH geführte Schaubühne, das exquisite Gastspielhaus Hebbel-Theater und jede Menge Off- und Kleinbühnen: Der warme Bundesregen könnte leicht in Tropfen zerfallen und auf den heißen Steinen der Theaterwüste verdunsten.

Mit dem kollegialen Schulterklopfen und den gegenseitigen Solidaritätsbekundungen wäre dann Schluß. Statt dessen Theaterdarwinismus: survival of the fittest. Einen Vorgeschmack kann man in der Gerüchteküche zum Peymann-Umzug bekommen. Neidvoll bemunkelt man dort die finanziellen Zusagen, ohne die der Regisseur wohl kaum das marode Berliner Ensemble – zur Zeit mit schlappen 21 Millionen Jahresetat ausgestattet – übernehmen werde.

Doch bis zur Premiere des Schauspiels „Pension Kohl: Die Schlacht“ ist noch etwas Zeit. Bis dahin spart man weiterhin an allen Bühnenecken und -kanten. Und noch gibt es unausgeschöpfte Knappspotentiale, wie die Komische Oper zu Beginn der nächsten Spielzeit beweisen wird. Man setzt dort auf selbstverordnete Teilaskese und wird den „Fidelio“ mit gewohnt tollen Sängern, tollen Kostümen, aber ganz ohne Bühnenbild inszenieren. Denn das würde zu teuer werden.

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