Peymann schießt mit Mozartkugeln

■ Der mutmaßliche Generalintendant der Preußischen Staatstheater, Claus Peymann, inszenierte Peter Turrinis finalen Rettungsschuß gegen den Weltekel

Das Fleisch ist zäh, verdammt zäh. Bis es endlich hinüber ist, bleibt ein langer schwerer Weg. Am Wiener Akademietheater dauert er ziemlich genau eine Stunde und 40 Minuten. Ein Mann (Gert Voss) zählt bis 1.000 und jagt sich eine Kugel durch den Kopf. Zuvor beichtet er sein Leben. Die Frau, die Freundin, der Sohn, die Kollegen, der Chef und daß sie ihn alle mal können. Geschichten, wie sie Legionen von mittleren Angestellten abends zwischen dem sechsten und siebten Achtel Weißwein erzählen. Was sonst am Tresen nur das nächste Glas begründet, radikalisiert Peter Turrini bis zum finalen Rettungsschuß gegen Weltekel und den Überdruß am modernen Leben. „Endlich Schluß“, ein Bekenntnistext zum Ende aller Bekenntnisliteratur, ein Theatermonolog zur Abschaffung aller Theatermonologe? Wenn's so wäre, wären auch die Vorzüge dieser Aufführung schon genannt.

Turrinis Held purzelt durch verschiedenste Identitätsentwürfe: Karrierist, Gesellschaftsclown, Psychotiker, heroischer Einsiedler und armer Willi von nebenan. Ohne daß die Uraufführungsregie von Claus Peymann diese Versatzstücke jemals zur verbindenden Wahrheit einer Person zusammenfügt. Immer wieder versucht Gert Voss im schwarz ausgekleideten Bühnengefängnis von Karl Ernst Herrmann den prophetischen Gestus Thomas Bernhardscher Weltverächter anzustimmen, um dann um so härter wieder in die monologische Spiegelfechterei zurückzustürzen.

Der Abend schwankt zwischen der Peinlichkeit, mit einem – fiktiven – privaten Schicksal konfrontiert zu sein und den üblichen Klischees von der Karrieregeilheit und Korruption der Eliten in Staat, Wirtschaft und Medien. Larmoyanz und Kolportage. Wiens politische Klasse war in großer Zahl anwesend, hat sich doch einer von ihnen, ein sozialdemokratischer Staatsbankier, tatsächlich die Smith & Wesson gegeben, soviel war vom geheimgehaltenen Stück aus der Burg herausgedrungen. Doch anders als der Vosssche (Jeder)-Mann hat der reale Suizidär ein paar hundert Seiten brisante Dossiers hinterlassen, die einigen führenden Köpfen der Republik ernste Schwierigkeiten bereiten könnten. Nach einer halben Stunde großes Aufatmen. Da sitzt nur Dr. Faust verzweifelt auf den Knien und wartet mit der Smith & Wesson in der Hand auf das Glockenleuten der Osternacht, das sich aber in Ermangelung transzendenter Bezüge nicht einstellen will.

Der Mensch von heute ist eine Canaille. Erst tritt er aus der Kirche aus, weil ihm das Brimborium der Kuttenmolche so sehr gegen die Vernunft geht, dann kauft er esoterische Bücher und begibt sich auf den Weg nach innen, wo in der Regel nichts zu finden ist. Der hochwürdige Herr Turrini zeigt den säkularen Menschen in seiner Jämmerlichkeit. Das schmerzempfindliche Häufchen Dreck, das der Mensch seiner bloßen Existenz nach ist, stirbt schwer, würdelos und von jäher Gewalt. Von jetzt an ist nur noch geistliche Literatur möglich Uwe Mattheiß

„Endlich Schluß“ von Peter Turrini, Akademietheater Wien. Mit Gert Voss. Regie: Claus Peymann; Bühnenbild: Karl Ernst Herrmann