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Ein grüner Gringo will Chiles Regenwald schützen

Ein Multimillionär aus den USA kauft Ländereien auf, um einen privaten Naturpark einzurichten. In seiner Wahlheimat ist das Projekt umstritten. Der Aussteiger gilt als verrückter Fortschrittsfeind und Yankee-Imperialist  ■ Von Thomas Nachtigall

„Ich habe dem Wald ein paar Jahrzehnte Atempause gekauft. Das ist meine Art von Zukunftsinvestition.“ Der 54jährige Douglas Tompkins weist mit knapper Geste über sein Reich: Von den Steilhängen des Pazifikfjords bis zu den verschneiten Vulkanen an der argentinischen Grenze erstreckt sich einer der letzten kühl-gemäßigten Regenwälder der Erde. 2.000jährige Andenlerchen überragen ein Dickicht aus knotigem Gehölz, mannshohen Schachtelhalmen und wucherndem Riesenfarn. Wasserfälle brechen aus nebelverhangenen Wänden; Kolibris nippen an roten Orchideenblüten; der Boden dampft.

„Die Artenvielfalt hier ist mit dem Amazonas vergleichbar; der Vernichtungsdruck durch unser krankes industrielles System allerdings auch“, meint der Hüter dieses Paradieses. „Vor der Tür stehen Holzfirmen, Minengesellschaften, Straßenbauer und Stromkonzerne auf der Suche nach eindämmbaren Flüssen. Alles, was Profit bringt, wird auch gemacht.“

Der Mann muß wissen, wovon er redet. Mehr als ein Jahrzehnt zählte der Kalifornier Douglas Tompkins, Gründer der Modekette Esprit, zu den erfolgreichsten Vertretern des globalen Kapitalismus. 1990 verkaufte er das Gros seiner Anteile und wechselte mit 125 Millionen Dollar die Fronten.

Seitdem kämpft „Don Doug“, wie ihn seine Mitarbeiter nennen, weltweit für Naturreservate und deep ecology – so heißt auch seine Stiftung. In Südchile hat sich der asketische Sportler, Designer und Hobbyfotograf einen Traum erfüllt: 270.000 Hektar Urwald – eine Fläche, größer als das Saarland – kauft er für 16 Millionen Dollar von Santiaguiner Landlords zusammen, um sie als privaten Naturpark unter Schutz zu stellen. „Pumalin“ soll er heißen – „Ort, an dem der Puma wohnt“.

Doch das Vorhaben hat die Andenrepublik entzweit. Von Umweltschützern international gefeiert, gilt der grüne Gringo vielen Einheimischen als verrückter Fortschrittsfeind. Mittlerweile wurde der Fall zur Staatsaffäre: „Ökozentrismus, der die Werte des christlichen Abendlandes leugnet“ machen Abgeordnete der pinochetnahen UDI-Partei in Tompkins Tun aus. Die KP entlarvt es als eine neue Variante des Yankee- Imperialismus, und auch die stockpragmatische Regierung aus Christdemokraten und Sozialisten kann mit dem Investor nichts anfangen, der Natur schützt, statt sie auszubeuten.

Eine breite Koalition von Bedenkenträgern sorgte vergangenes Jahr dafür, daß eine letzte Arrondierung des Terrains scheiterte. Die Katholische Universität durfte ein 30.000-Hektar-Stück nicht veräußern, das Tompkins' Besitz in zwei Teile spaltet. Seinen Antrag auf Anerkennung von Pumalin als Naturdenkmal ließen die Behörden in den Schubladen verschwinden. So liegen Parkgründung und beabsichtigte Übertragung auf eine gemeinnützige Stiftung auf Eis – zumindest bis zu einem Regierungswechsel 1999.

„Mit einem Präsidenten Frei und seinen Technokraten ist das nicht zu machen. Aber ich kann warten“, kommentiert der Multimillionär von seinem 1.200 Kilometer südlich Santiagos gelegenen Refugium aus. Gemeinsam mit seiner zweiten Frau, Kris McDivitt, hat er sich auf eine nur per Boot oder Buschflugzeug erreichbare Farm inmitten des Parks zurückgezogen. Fernsehen, Telefon und Internet sind aus dem zweistöckigen Holzbau verbannt. Ein Funkgerät und zahlreiche Besucher in der großzügigen Wohnküche mit kupferbeschlagenem Kamin sorgen dafür, daß „wirklich Wichtiges mich erreicht“. Das Gästebuch verzeichnet neben skeptischen Campesinos aus der Nachbarschaft auch heimlich faszinierte Parlamentarier, einen australischen Philosophen und einen deutschen Waldgrafen.

Der Aussteiger selbst hat am 43. Breitengrad Süd keineswegs die Müßigkeit entdeckt. Er legt Lehrpfade und Biogärten an, organisiert wissenschaftliche Symposien, sinniert über die Frage, „was uns treibt, unsere Lebensgrundlagen zu zerstören“, und ob es Ratio oder Gefühl ist, was den Anstoß für „grünen Frieden“ gibt.

Bei ihm war es beides. Seine Entwicklung von einer Ikone des Modebusineß zu einem Robin Wood mit Strickjacke aus lokaler Wolle führte über mehrere Etappen. Vietnamkriegsprotest, Anti-Atom-Bewegung und irgendwann die Einsicht, daß auch Kleidungs- und Chemieindustrie an Bhopal, Treibhauseffekt und Amazonasrodung nicht unschuldig sind. In die südchilenischen Anden verschlug ihn die Suche nach persönlicher Konsequenz. Auch die Cessna im Hangar will der begeisterte Pilot mit 6.000 Stunden im Logbuch trotz zu erwartender Entzugserscheinungen aufgeben. Entschädigung ist ihm „die Befriedigung menschlicher Elementarbedürfnisse nach Harmonie mit der Umwelt, gesunder Nahrung und gutem Sex“. Lustgewinn schafft allerdings auch das Gefühl, „mit Geld und Macht endlich auf der richtigen Seite zu stehen“. Daß er damit seine Wahlheimat polarisiert, genießt er sichtlich. Denn nach zehnjährigem Wirtschaftsboom, der dem „Tiger Lateinamerikas“ zwar beeindruckende Wachstumsraten bescherte, jedoch an der Mehrzahl der vier Millionen Armen vorbeiging, hat auch in Chile eine heftige Debatte über den Preis des Neoliberalismus begonnen.

Die von den Generälen durchgesetzte Privatisierung und Deregulierung brachte eben nicht nur Funktelefone in die Dörfer, Börsenkurse in die Köpfe und neue Exportprodukte auf den Weltmarkt, sondern führte auch zu einer kaum kontrollierten Ausbeutung der Naturressourcen.

Heute kommen Küstenfischer häufig mit leeren Netzen zurück, weil Fabrikschiffe das Flachmeer entlang der Küste leer saugen. Die Forstindustrie, mittlerweile zum zweitwichtigsten Devisenbringer aufgestiegen, rückt dem Naturwald zuleibe, von dem es nach optimistischen Schätzungen noch rund sieben Millionen Hektar gibt. Erst diesen März bekam der nordamerikanische Konzern Trillium grünes Licht, auf Feuerland bislang völlig unberührte Lenga-Forste auszubeuten.

„Chile verfaxt seine Wälder“, beklagen Ökologen und weisen darauf hin, daß ein Großteil der Baumstämme nicht zu hochwertigen Möbeln, sondern zu kleinen Schnipseln verarbeitet wird, aus denen dann in Japan Fax- oder Computerpapier entsteht.

Im Hafen von Puerto Montt, 150 Kilometer nördlich der Tompkins-Farm, warten Gebirge von Holzchips auf den Frachter aus Yokohama. Gleich nebenan hat der Mitsubishi-Konzern das bislang größte Schnitzelwerk Chiles errichten lassen, das die Jahreskapazität auf zwei Millionen Tonnen hochtreibt. Doch beim Kleinbauern, der seinen Wald zur Mühle karrt, bleibt wenig vom Gewinn hängen. Einziger Ausweg: immer öfter die Kettensäge anzuwerfen.

Eine jüngst veröffentlichte Stuwarnt vor ernsten Konsequenzen: Wenn der Raubbau so weitergeht, „könnten wir in 30 Jahren ein Tiger ohne Urwald sein“, schließen die Autoren und fordern dringlich ein seit Jahren verschlepptes Waldgesetz. Parkgründer Tompkins zitiert diese Untersuchung besonders gern, weil sie nicht von Umweltschützern, sondern von der chilenischen Zentralbank in Auftrag gegeben wurde.

Als „unverantwortliche Panikmache“ wischte dagegen Landwirtschaftsminister Emiliano Ortega die Studie vom Tisch. Der Verantwortliche wurde gefeuert, und der Minister rückte – auch mit Blick auf den unerwünschten Großgrundbesitzer – die Prioritäten zurecht: Chile lasse sich von Öko-Fundamentalisten doch nicht die Entwicklung kaputtmachen.

Weitaus gelassener kommentiert ausgerechnet der Sprecher der nationalen Forstlobby Corma das Projekt Pumalin. Letztlich sei es „gut für die Öffentlichkeitsarbeit“, meint Eladio Susaeta. Seine Branche werde mittelfristig ohnehin ihren Druck auf den Naturwald lockern und statt dessen die Plantagenwirtschaft verdoppeln. Mit der Integration Chiles in den Mercosur sei ein Zusammenbruch von Teilen der traditionellen Landwirtschaft absehbar, was genügend billige Brachen frei mache. Vor seinem geistigen Auge sieht der Forstingenieur schon acht Millionen Hektar schnellwachsende Kiefern- und Eukalyptusstämme in Reih und Glied, bearbeitet von Sprühflugzeugen und Erntemaschinen. Das sei doch rationeller, als sich mit wildem Wald und selbsternannten Baumfreunden herumzuschlagen. „Laßt Tompkins bloß seinen Naturpark machen. Chile muß das Image des Waldfrevlers loswerden, denn das ist schlecht fürs Geschäft“, mahnt der übereifrige Politiker.

Doch solch strategisches Denken ist nicht nur machen Ministern, sondern auch den meisten Nachbarn des umstrittenen Magnaten fremd. Viele Bewohner Chaitens, des Zentrums der bitterarmen Provinz Palena, hegen abgrundtiefes Mißtrauen gegen ihren neuen Landherren. Seit die ersten Kolonisten hier Ende des letzten Jahrhunderts ein paar Viehweiden freischlugen, war der kalte Dschungel ein Gegner, dessen einziges Verdienst darin bestand, die Chono-Indianer der vorgelagerten Inseln fernzuhalten.

Mit der von den Militärs in den achtziger Jahren gebauten „Carretera Austral“, einer 1.500 Kilometer langen Schotterpiste nach Patagonien, hielt der Traum von Moderne und Investitionen Einzug. Doch dann kam ausgerechnet Tompkins.

Abgesehen davon, daß die Pioniere von Chaiten Fremde sowieso am liebsten am Ortsausgang sehen, gehören philanthropische Neigungen nicht zu ihrer Vorstellungswelt. Der Yankee verberge was, raunt Volkes Stimme, und zwar so laut, daß Tompkins es hören kann, wenn er alle paar Wochen in den Dorfläden mit dem HO-Charme Proviant einkauft.

Von einer geplanten Atommülldeponie reichen die Spekulationen bis zu heimlichen Grenzänderungen zugunsten des ungeliebten Nachbarn Argentinien. Auch dort besitzt der Millionär schließlich Land. Genährt werden solche Gerüchte nur zu gern von den Eigentümern der Lachsfarm Fiordo Blanco, die sich in den Gewässern vor Tompkins' Haustür etablierte. Ihr Verwalter, ein ehemaliger Geheimdienstmann von General Pinochet, liegt im Dauerstreit mit dem Umweltschützer, weil der das Abschießen von Seehunden, die Exportlachse fressen, nicht hinnehmen will.

Doch Tompkins weiß, daß er nicht nur einen Platz für Tiere und Pflanzen, sondern auch für Menschen schaffen muß, soll sein ambitioniertes Projekt Erfolg haben. „Schutz der Biosphäre und soziale Gerechtigkeit bedingen einander“, findet er und entwirft Pläne für eine alternative Entwicklung. Sanfter Ökotourismus soll Arbeitsplätze und Einkommen in die abgelegene Region bringen. „Kein Königsweg, aber immer noch besser als Kahlschlag.“

Campingplatz, Trekkingpfade und ein Café sind bereits fertiggestellt. Vor allem aber versucht Tompkins, das knappe Dutzend Siedlerfamilien im Parkgebiet für eine lokale Kreislaufwirtschaft zu gewinnen. Ihren Anspruch auf Land hat er grundsätzlich anerkannt, obwohl zumeist keine Rechtstitel vorliegen. Eine Ganztagsschule mit zwei Lehrern finanziert er aus eigener Tasche.

„Der Mann respektiert uns, wenn wir den Wald respektieren“, faßt Bauer German Huenchuhuan zusammen. Das hindert jedoch deklarierte Tompkins-Gegner im Innenministerium nicht, vor mittlerweile zwei parlamentarischen Untersuchungskommissionen von „Vertreibungsdruck“ zu sprechen und das Projekt Pumalin nach Kräften zu hintertreiben. Doch ob ihr bislang größter Erfolg – die Verhinderung des Verkaufs des noch fehlenden Sperrgrundstücks zwischen den beiden Parkhälften in letzter Minute – die gewünschte Langzeitwirkung hat, ist offen. Die Katholische Universität, unfreiwillig auf ihrem Dschungel sitzengeblieben, überlegt, dort nun mit Industriespenden und Regierungssegen ein eigenes Schutzgebiet einzurichten.

„Wenn jetzt tatsächlich ein Rennen um das bessere Konzept beginnt, kann mir das nur recht sein. Dann haben wir hier irgendwann halt mehrere Naturparks“, kommentiert der ausgestiegene Modemanager. Douglas Tompkins hätte sich noch einmal als Trendsetter bewährt.

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