Das „freie Wort“ kann mörderisch sein

■ Fordert der Rechtsstaat ungerechte Urteile? – Eine Podiumsdiskussion

Die Wellen der Empörung schlugen hoch, als der Hamburger Richter Albrecht Kob im Februar dieses Jahres zwei stadtbekannte Neonazis freisprach. Die Formulierung „Auschwitz-Mythos“ hatte er als nicht rechtswidrig beurteilt und damit bundesweit Zorn und Unverständnis hervorgerufen. Entsprechend starke Geschütze fuhr die Hamburger Justiz für die Podiumsdiskussion „Fordert der Rechtsstaat ungerechte Urteile?“ am Donnerstag abend auf: Der Präsident des Landgerichts Roland Makowka höchstselbst und Strafverteidiger Otmar Kury kamen, um den KritikerInnen des „Kob-Urteils“, Krista Sager, bündnisgrüne Vorstandssprecherin, und Michel Friedman vom Zentralrat der Juden in Deutschland, entgegenzutreten.

„In der Demokratie gibt es keine politische Justiz, aber die Justiz ist politisch“, räumte Friedman mit der Vorstellung auf, RichterInnen könnten im gesellschaftlichen Vakuum agieren. Den „Auschwitz-Mythos“ als rechtlich zulässige Äußerung zu betrachten, sei „formaljuristisch“.

„Das ,freie Wort' kann mörderisch sein“, so Friedman, nämlich dann, wenn es menschenfeindlich sei. „Neben Brandstiftung und Mord gibt es auch die Gewalt des Wortes, die die Hand des Täters lenkt“, sagte Friedman. Deshalb müsse dort, wo die grundgesetzlich geschützte Würde des Menschen bedroht ist, die Justiz eingreifen.

„Die Strafjustiz kann nicht als Feuerwehr bei gesellschaftlichen Bränden eingesetzt werden“, hielt Strafverteidiger Otmar Kury entgegen. Eine Verurteilung von Neo-Nazis wegen der Äußerung „Auschwitz-Mythos“ würde sie zu Märtyrern hochstilisieren und ihnen „eine Bühne“ bieten.

Der Hamburger Freispruch sei im Gegensatz zum Fall Deckert kein „Gesinnungsurteil“, verteidigt auch Landgerichtspräsident Roland Makowka seine Zunft. Die Mehrheit der RichterInnen sei sich der NS-Vergangenheit der deutschen Justiz sehr wohl bewußt. „Die Rolle der Justiz in der NS-Zeit ist nie richtig aufgearbeitet worden“, warf hingegen Krista Sager den JuristInnen vor. Natürlich wär's viel schöner, wenn die Justiz gar nicht erst eingreifen müsse. „Aber was ist die Alternative, wenn Pädagogik und gesellschaftlicher Druck nicht helfen?“

Gerade von ihr „als Vertreterin einer Generation, die sich das Brechen von gesellschaftlichen Tabus zum Hobby“ gemacht habe, sei es gewünscht, bestimmte Tabus zu verteidigen. „Daß jemand ungestraft den Holocaust leugnen kann – eine solche Normalität will ich nicht.“ Silke Mertins