: Emanzipation von Geräusch und Rhythmus
■ Kratzige Uraufführungen von Kompositionen der Slowakin Viera Jánarcekovás bei Hammoniale
Ob die bergige Landschaft ihrer Kindheit ihre Kompositionen beeinflußt? Die quirlige Frau schaut mir mit gespieltem Ernst ins Gesicht: „Kennen Sie Räuber aus der Ebene?“Wieder brechen wir beide zusammen vor Lachen, weil keine weiß, was die andere ernst mein. Erst als unser Genuß am Nicht-Verstehen abebbt, klärt sie auf: „Räuber suchen Zuflucht in den Bergen, wenn es brenzlig wird.“Also doch. Unter den achtzehn Liedern des Zyklus „Dziny Dajdom“für Stimme und Instrumentalensemble, das im Rahmen der Hammoniale uraufgeführt wird, werden auch Räuberlieder aus der slowakischen Hohen Tatra sein. Aber in einer ungewöhnlichen Fassung: Wenn Viera Jánarceková ein Stück Musik anfaßt, wird es aufregend mikrotonal, entstehen Strukturen, die ausgetretene Pfade verlassen.
Jánarceková findet Geräusche „unglaublich präzise und strukturiert“, weswegen sie im Laufe ihres Komponistinnenlebens immer genauer feinste Rhythmen und Klänge der Geräusche notiert. Eines Tages hörte sie sich schlechte Tonaufnahmen an, auf denen das Ansetzen des Bogens als Kratzen zu hören ist. Und plötzlich wird sie aufgeregt: „Ich sah förmlich, wie die Spieler den Bogen aufsetzen, wie sie auf dem Stuhl hin und her ruckeln. Das war etwas ungeheuer Lebendiges. Nicht das Mimifizierte, sondern diese Zutat aus dem Moment heraus.“Fortan entwickelte sie diese Zutat zu einer Selbständigkeit.
Aufgewachsen ist Jánarceková in Bratislava und Prag, später lebte sie in Kanada und seit 1971 in Deutschland. „Ich kenne Kollegen, die schreiben keine Note, ohne einen Auftrag in der Tasche zu haben“, erzählt die Komponistin. Bei ihr ist das anders: Sie folgte ihrem Begehren, schrieb fünf Streicherquartette und schwer aufzuzählende, ungewöhnliche Kombinationen für Orchesterinstrumente. So kommt es zu der paradoxen Situation, daß manche davon inzwischen preisgekrönt sind, aber noch nie aufgeführt wurden. Gabriele Wittmann
Freitag, 20. Juni, 20 Uhr, Kampnagel, k2
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