piwik no script img

Nachtjäger auf Abwegen

■ Neue Tiefflug-Korridore der Bundesluftwaffe lösen Proteste aus: BürgerInnen befürchten Abstürze über Gorleben oder AKW Krümmel Von Marco Carini

Die Route hat es in sich: Nur ein paar Flugsekunden an Atommüll-Zwischenlager Gorleben und Krümmeler Atommeiler vorbei, geht es anschließend im Tiefflug direkt über ein ungeschütztes Pestizidlager. Am Montag öffnete die Bundesluftwaffe ihre neuen Tiefflugkorridore, in denen die Militärgeschwader in Zukunft zwischen Sonnenuntergang und Mitternacht ihre Übungen abhalten werden.

Eine „besondere Gefährdung“ der Bevölkerung durch die Risiko-Route können die Militärplaner freilich „nicht erkennen“, obwohl bundesweit bisher fast 600 Starfighter und andere Militär-Jäger abschmierten. Andreas von Bühren, Oberstleutnant der Luftwaffe: „Mit diesem Restrisiko müssen wir leben.“ Dabei mußte das Kölner Luftwaffenamt erst von den EinwohnerInnen darüber aufgeklärt werden, daß die neue Flugschneise direkt über ein kaum gesichertes Saatgut-Lager in Lemgarde (Kreis Lüneburg) führt, in dem 50 Tonnen hochgiftige Insektizide und Pflanzenschutzmittel lagern.

Die betroffenen BürgerInnen wollen sich mit solchen „Restrisiken“ nicht abfinden. Binnen weniger Wochen sammelten vier Bürgerinitiativen zwischen Dahlenburg (Kreis Lüneburg) und Bienenbüttel (Kreis Uelzen) über 10 000 Unterschriften gegen den gut neun Kilometer breiten Nachtflug-Korridor. Auf dem Abschnitt des Korridors, der Niedersachsens Norden zwischen Rothenburg und Dahlenburg in Ost-West-Richtung quert, rechnen die Bürgerinitiativen aufgrund von Angaben aus der Hardthöhe und dem niedersächsischen Innenministerium mit „bis zu 160 Nachtjägern“ pro Woche. Ein rein „theoretischer Wert“, betont hingegegen das Luftwaffenamt, das sich jedoch auf eine Prognose der zu erwartenden Flugbewegungen nicht festnageln lassen will.

Es steht jedoch fest, daß im Nordosten Niedersachsens, früher als Zonenrandgebiet ganz von militärischen Tieffliegern verschont, mit nächtlichen Ruhestörungen gerechnet werden darf. „An Schlaf ist jetzt nicht mehr zu denken“, befürchtet Martin Evers von der Anti-Tiefflug-Bürgerinitiative Himbergen (Kreis Uelzen). So laut wie „eine Motorsäge im Schlafzimmer“, so der Dahlenburger Bürgerinitiativler Klaus Schäfer, seien die Tiefflieger, die sein Haus schon heute tagsüber in 300 Meter Höhe sporadisch überquerten. Der Frührentner Werner Szymanek aus Himbergen fühlt sich darüber hinaus „von den Ereignissen überrollt“. Die Bundeswehr habe das „still und heimlich geplant, ohne die Bevölkerung zu informieren“.

Ursprünglich sollte der Krach-Korridor bereits Christi Himmelfahrt eröffnet werden. In letzter Minute entschloß sich die Hardthöhe, den Termin um vier Tage zu verschieben: Die neuen Tiefflug-Trassen sollten nicht als Himmelfahrts-Kommando in die Schlagzeilen eingehen.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen