: Wasser leidet an drei Syndromen
■ Das Lebenselixier von Menschen und Natur ist durch Nachlässigkeit gefährdet. Wasser-Beirat stellt Gutachten vor
Berlin (taz) – Nur ein Zwanzigstel der Abwässer wird weltweit gereinigt, zwei Milliarden Menschen haben kein sauberes Wasser. Folge: Jeder zweite Bewohner der Entwicklungsländer leidet unter wasserbedingten Krankheiten, jährlich sterben fünf Millionen allein durch Keime – dazu kommen unzählige Hungertote. Die Bundesregierung solle sich daher international für das „Recht auf Wasser“ stark machen, fordert das Gutachten des Wissenschaftlichen Beirats der Bundesregierung „Globale Umweltveränderung“, das gestern vorgestellt wurde.
In ihrer Studie „Wege zu einem nachhaltigen Umgang mit Süßwasser“ warnen die Gutachter vor Kriegen um Wasser. Bonn solle sich daher für eine „Weltwasser- Charta“ der UN stark machen und Pilotprojekte zur gerechten Nutzung grenzüberschreitender Flüsse fördern. Und sie solle sich dafür einsetzen, daß der Preis die Knappheit des Gutes Wasser widerspiegele.
Trotz des Mangels sollten Großprojekte wie Staudämme kritischer betrachtet werden. Insbesondere fordern die Wissenschaftler Kanzler Kohl auf, ihre vergangenen Herbst gewährten Hermes- Kredite für den chinesischen Mammutstaudamm im Tal der drei Schluchten zurückzuziehen. Seine ökologischen und sozialen Folgen sollten geprüft werden.
Drei Krankheitsbilder diagnostizieren die Wissenschaftler: Das „Grüne-Revolution-Syndrom, das Aralsee- und das Favela-Syndrom“. Die Grüne Revolution beschreibt die staatlich verordnete Modernisierung vieler Landwirtschaften durch Pestizide und Düngemittel. Die Folge: einseitige, verschwenderische Bewässerung, die kleine Bauern an den Rand drängt und bei ihnen Wassermangel und Hunger produziert. Der Beirat empfiehlt eine „Neue Grüne Revolution“, die auch Kleinbauern Wasserrechte gibt und Kleingewerbe, Handwerk und lokale Märkte fördert. Dabei sollten ressourcenschonende Anbaumethoden wie Zwischenfruchtanbau gefördert werden. Finanzieren wollen die Gutachter das Programm durch einen zweckgebundenen Schuldenerlaß der Weltbank. Dabei ist „Süßwasser der wichtigste limitierende Faktor für die Nahrungsmittelproduktion“, mehr als zwei Drittel des Trinkwassers werden im Ackerbau verbraucht.
Als Aralsee-Syndrom bezeichnet der Beirat die ökologischen Auswirkungen großtechnischer Bewässerung. Das größte so verursachte Umweltdesaster betreffe den Aralsee, der auf diese Weise zum Teil ausgetrocknet wurde. Ihn übertreffen könnte der chinesische Drei-Schluchten-Stausee, der den Jangtse über 600 Kilometer stauen wird und 18 Gigawatt Strom produzieren soll. 1,1 Millionen Menschen werden dafür umgesiedelt, im Falle eines Dammbruches droht eine Katastrophe – seit 1950 brachen schon 3.200 der 80.000 chinesischen Dämme. Obwohl im chinesischen Kongreß 30 Prozent der Abgeordneten dagegen waren und die Weltbank ihre Unterstützung ablehnte, vergab Bonn Bürgschaften, um deutsche Exporte zu fördern.
Als Favela-Syndrom bezeichnen die Forscher die „fortschreitende Verelendung in den Städten“. Hier gelte es, den Transfer von billiger Technik zur Wasserreinigung „als vordringliche Herausforderung der Entwicklungspolitik zu sehen“. Die Maßnahmen zur Trinkwassersicherung will der Beirat durch einen weltweiten Wasserpfennig finanzieren. Laut UN seien dafür etwa 50 Milliarden Dollar jährlich nötig. Matthias Urbach
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