piwik no script img

Der seelenlose Sprung von A nach B

■ Über den Ausverkauf eines Kultes: „Fame – Das Tanzmusical“im Schauspielhaus

Theater und Film dürfen nicht miteinander verglichen werden, ich weiß. Beide sind einzigartig. Haben ihre unterschiedlichen Darstellungsmittel und darin begründet zwangsläufig ihre Schwächen und Stärken. Doch die Werbung für Wolfgang Bockschs neueste Produktion Fame, die seit dem 15. Juli im Schauspielhaus gastiert, arbeitet genau mit diesem Vergleich: „Nach dem Kultfilm, der Kultserie, dem Kultsong jetzt Fame, das Tanzmusical.“Was bleibt einem Kind der frühen Achtziger, das quasi mit dem Film von Alan Parker die Pubertät und sein Coming Out erlebt hat, da anderes übrig, als zu vergleichen, zu erwarten, um dann festzustellen, daß nicht überall, wo Fame draufsteht, auch Fame drin ist.

Vom Film geblieben ist nur die Rahmenhandlung: Wir begleiten Musiker, Tänzer und Schauspieler auf ihrem harten, aber immer kreativen Weg nach oben, von der Aufnahmeprüfung zur New Yorker „High School of Music & Art and Performing Arts“bis zum Abschlußabend. Vier Jahre des Lernens, der Sucht nach Ruhm und der damit verbundenen Enttäuschung und vier Jahre voller erfüllter wie unerfüllter Liebe. Das alles verpackt in viel Musik, Drama und Tanz.

Was im Film funktioniert – denn dieses Medium gibt den unterschiedlichen Charakteren genügend Zeit und Raum, sich zu entwickeln – wird zur Katastrophe im Musical. Anstatt den Plot auf ein paar darstellbare Einzelschicksale zu beschränken, haut uns Bockschs Fame-Adaption die Persönlichkeiten nur so um die Augen und Ohren und läßt sie zwangsläufig in ihrem eigenen Klischee erstarren:

Nick, der Schwule mit dominanter Mutter, Joe, der puertorikanische Klassenclown, den mehr seine Libido als seine Schauspiel-Seele treibt, Carmen, die Sexbombe, deren Traum von Hollywood auf dem Strich endet, Tyrone, ein schwarzer Analphabet aus Harlem, mit dem Rhythmus im Blut und, und, und. Viele Charaktere, wenig Charakter. Fame kratzt an der Oberfläche und bleibt leider bis zum Schluß blutleer. Garniert wird dieses seelenlose Spektakel mit wenigen einfallslosen Tanzszenen, die allenfalls akrobatisch sind. Schauspielerisch überzeugt niemand so recht, sind doch alle zu sehr damit beschäftigt, von Punkt A nach Punkt B zu springen. Stimmlich ist einzig Michelle Strickland Crenshaw in der Rolle der strengen Englischlehrerin herausragend.

Vom Original blieb nur der Titelsong, in ein Medley eingewoben und multikulturell in Teilen auf Spanisch. Die anderen Melodien sind neu und dünn. Obwohl kein einziger Song das Zeug zum Ohrwurm hat, kommt es mir bis zum Schluß so vor, als hätt' ich das alles schon einmal gehört.

Beim Verlassen des Theaters überkommt mich das Gefühl, einer Mogelpackung auf den Leim gegangen zu sein. Mein letzter Blick fällt auf das Plakat von Fame – Das Tanzmusical. Das wenigstens ist ehrlich. Denn es ist so steril, statisch und körperbetont, wie der ganze Abend es war. Stefan P. Otto

bis 17. August, Sa und So, 20 Uhr

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen