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Züge gucken - Trainspotting

An Brücken und Gleisen stehen und Nummern von seltenen Loks notieren, Trainspotting - „Züge gucken“in der Spezialistenvariante. Eigentlich ein preiswertes Hobby, für Menschen, die nicht mehr viel vorhaben, Anachronismus und Sehnsuchtsmetapher zugleich. Schließlich könnte man ja eines Tages doch einmal draufspringen und sich davonmachen aus jener gottverlassenen Gegend in Schottland, in der Renton, Sick Boy und ihre Buddies ihren Junkiealltag nüchtern nach Laufzeit und Thrillwert verrechnen. Der nächste Turkey kommt bestimmt. Und solange gilt: „Ich fixe, also bin ich!“

Man lebt vom Sozialhilfebetrug und anderer Miniaturgangsterei und bleibt ansonsten darauf bedacht, seinen Ruf zu betonieren, ob als Touristinnenstecher wie Sick Boy, als nervös tickende Zeitbombe wie Begbie oder als hyperventilierender Romantiker wie Spud. Renton, der in der Verfilmung des gleichnamigen Romans von Irvine Welsh, einem Ex-Junkie aus Edinburgh, zur Hauptfigur avanciert, ist der Intellektuelle der Gruppe, ein Junkie mit „atti-tude“und dem längst ranzig gewordenen Pathos der 60er-Jahre- Bohème. Und wenn er im Film zwei Opiumzäpfchen aus der Kloschüssel fingert, um dabei selbst in den verstopften Orkus der Zivilisation einzutauchen, findet Regisseur Danny Boyles ein treffliches surreales wie ironisches Bild für den dürftigen Zynismus einer Jugend, die sich wie kleine Prinzen mit Filzläusen gebärden.

Trainspotting verschreckt sein Publikum nicht mit harten Fakten und kalten Bildern, in denen sich arme Seelen wälzen. Danny Boyle kommt vom Horror-Genre, und wenn er kunstvoll zugesiffte Teppichböden ins Bild rückt, hat das Ganze etwas von einer Mad Max-Landschaft. Ein „white trash“mit krabbelnden Zombie-Babies und renitenten Korridoren, der sich selbst abnutzt.

In einer Mischung aus echter und ersponnener Drogenwirklichkeit läßt der Film Gewalt und Pädagogik sich zum Kreistanz an die Hände fassen. Jeder ist hier ein Arschloch oder ein masochistischer Virtuose, ein Märtyrer oder bloß ein Loser.

Birgit Glombitza

heute, B-Movie Open Air (August-Lüdgens-Park), 22.30 Uhr

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