: Begegnung mit einem Außenseiter
■ „Die Gesellschaft vom Dachboden“- ein Porträt des Schriftstellers Ernst Kreuder
Nach dem Krieg fand die deutsche Literatur mit Ernst Kreuder wieder Anschluß an die europäische, stellte Heinrich Böll einmal treffend fest. 1964 erregte seine Erzählung Die Gesellschaft vom Dachboden Aufsehen und machte den bis dahin unbekannten Schriftsteller schlagartig berühmt. Arno Schmidt lobte Kreuder mehrfach als einen der besten zeitgenössischen Autoren, der junge Rolf Dieter Brinkmann wandte sich mit seinen ersten dichterischen Versuchen an ihn.
1903 in Zeitz geboren, wuchs Kreuder in Offenbach auf und wurde zunächst Bankangestellter, bevor er das bürgerliche Brufsleben an den Nagel hängte und über den Balkan nach Griechenland wanderte. Eine Reise, die ihr jähes Ende im Malariahospital fand. Kreuder kehrte nach Hessen zurück und studierte in Frankfurt Philosophie und Kriminologie. Erste Gedichte und Kurzgeschichten wurden veröffentlicht.Anfang der Dreißiger arbeitete er für den Simplicissimus in München, bis dessen Redaktionsräume 1933 von der SA zerstört wurden. Ohne Hoffnung auf eine Publikation im Deutschland der „kackbraunen Gangsterhorde“begann er 1938 die Arbeiten an jenen Werken, die später seinen literarischen Ruf begründen sollten.
Hohe literarische Qualität schützt bekanntlich vor dem Vergessenwerden nicht. In den Sechzigern geriet Kreuder zusehends aus dem Blickfeld der Öffentlichkeit. In der von der „Gruppe 4711“(Kreuder) dominierten Literaturlandschaft der Bundesrepublik wurde er das, was man einen Geheimtip nennt.
Doch seit zwei Jahren wird Kreuders Name wieder öfter genannt: 1995 erschien sein Briefwechsel mit Hans Henny Jahnn, und ein Jahr später scheute der Hamburger Rotbuch Verlag das finanzielle Risiko nicht und brachte den erstmals 1948 erschienenen Roman Die Unauffindbaren in einer Neuausgabe heraus. Mit diesem Roman erweist sich Kreuder als Meister der Ironie. Mit geradezu unverschämter Leichtigkeit paart er Elemente, die an seine Vorbilder Jean Paul und William Faulkner erinnern, mit Versatzstücken der Trivialliteratur. Das ist spannend, aufrüttelnd und durchsetzt mit ätzender Gesellschaftskritik.
Nun ist auch Kreuders bekanntestes Werk wieder erhältlich: das phantastisch-anarchistische Verschwörermärchen Die Gesellschaft vom Dachboden. Vor 50 Jahren galt das Erscheinen dieses Buches, eine vehemente Absage an die moderne Industriegesellschaft, als Sensation. Die Figuren polemisieren nicht nur gegen die Doppelmoral von Kirche und Staat – auch der Protest gegen die fortschreitende Umweltzerstörung sind für sie selbstverständlich.
Vor 25 Jahren starb Ernst Kreuder in Darmstadt. Karlheinz Deschner sagte damals an seinem Grab: „Es gibt keinen seinesgleichen unter uns, und geht es mit rechten Dingen zu, wird man sich eines Tages wieder an ihn erinnern.“Dem Rotbuch Verlag ist es zu verdanken, daß Kreuders bekannteste Werke jetzt wiederentdeckt werden können. Es lohnt sich.
Jan Bürger
Ernst Kreuder: „Die Gesellschaft vom Dachboden“. Rotbuch Verlag, 178 S., geb. 38.- DM
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen