: Soviel Platz – aber wofür?
■ Mehrere hundert Hektar Fläche werden in Hamburg frei. Was fangen wir bloß damit an?, fragen sich Stadtentwicklungssenator Thomas Mirow (SPD), Prof. Dittmar Machule (TU Harburg) und Michael Kuhlmann (Handelskammer)
Hamburg fällt in den Schoß, wovon andere Bundesländer träumen: Riesige Freiflächen mitten in der Stadt – von Bundeswehr, Post oder Bahn aufgegeben und so groß wie andernorts ganze Dörfer – sind ganz neu zu gestalten. Und Sie drei dürfen sich darauf planerisch austoben. Wie?
Dittmar Machule: Das Entscheidende ist, daß Hamburg diese Flächen als Vorsorge für die Zukunft begreift. Daß das Verfügungsflächen werden, in der die Stadt sich in Ruhe – und das schließt eine schnelle Bebauung aus – überlegen kann, welche Nutzung optimal ist.
Thomas Mirow: Es gibt Sorge um die Stabilität der Städte. Immer mehr Arbeitsplätze werden von Hamburg nach außen verlagert, sofern sie nicht gleich wegfallen. Und Städte kommen zunehmend in die Rolle, nur die sozial schwächeren Teile der Gesellschaft zu beherbergen, weil die stabileren Teile längst außerhalb der Stadtgrenzen wohnen.
Ich sehe diese Flächen als Chance, diese beiden Probleme zu bekämpfen. Die Frage, was im einzelnen dort entstehen soll, kann und will ich heute nicht pauschal beantworten. Es sind zu viele und zu unterschiedliche Flächen.
Michael Kuhlmann: Die künftige Nutzung kann nicht losgelöst von der ehemaligen stattfinden. Alte Gleise von verlassenen Bahnhöfen müßten also beispielsweise integriert werden. Ich fände es aber falsch, ein konkretes Bild zu entwickeln, dem dann nachgeeifert wird, denn Lebenszusammenhänge ändern sich. Ich halte es für schwierig, die Bewohner von Ökostadtteilen zu einem bestimmten Umgang mit Ressourcen zu zwingen. Denn die Konsequenz wäre doch, einigen Bewohnern, deren Einstellung sich ändert, eines Tages zu sagen, ihr seid für dieses Öko-Viertel nicht mehr tragbar.
Ökosiedlungen sind sicher nur ein Beispiel, vorstellbar wäre auch eine neue Architektur. Oder die Verlagerung ganzer Stadtteile, um die Bausünden der Vergangenheit – siehe Steilshoop – anschließend abzureißen.
Mirow: Ich bin, bezogen auf Hamburg, eher für das Verbinden und Vernetzen mit dem Vorhandenen als für das grundlegend Andere, häufig ja auch Artifizielle.
Machule: Ich meine, in Hamburg wäre es trotzdem nicht schlecht, auch mal zu experimentieren. Verkehrsfreie Siedlungen zum Beispiel oder Stadt für Kinder. Oder grünes Wohnen mitten in der Metropole. Oder Wohnen an den neuen Alsterufern. Ich plädiere dafür, über solche Spielräume zu diskutieren.
Mirow: Zu lange Ungewißheiten über die Zukunft einer Fläche, insbesondere wenn sie in Zusammenhang gebracht werden mit strukturellen Veränderungen in der Stadt, wirken belastend. Wie es übrigens im Karolinenviertel, am Elbufer oder in Wilhelmsburg in den 60er und 70er Jahren passiert ist.
Man darf die Flächen also nicht einfach jahrelang sich selbst überlassen?
Machule: Wir sehen die enormen Probleme, die Berlin mit seinen Brachflächen hat. Das ist aber eine völlig andere Situation als die in Hamburg. Das hat kulturelle Dimensionen, wenn in Berlin-Mitte plötzlich etwas reingeknallt wird.
Kuhlmann: Ich sehe Berlin eher als Vorbild. Dort hat man nach der Wiedervereinigung den gesamtstädtischen Konsens mit der Wirtschaft, der Verwaltung und der Politik gesucht und zu einer Strategie zusammengefügt. Die Handelskammer fordert auch für Hamburg, systematisch Flächenprofile für die Gewerbeflächen zu entwickeln – vom produzierenden Gewerbe über den Handel bis zum Transport. Ansonsten werden wir auf den Freiflächen in einigen Jahren bloß viele vergleichbare Standorte haben, die sich Konkurrenz machen.
Machule: Aber das ist doch gerade spannend. Sie dürfen das nicht durch eine generelle Vorstellung deckeln.
Wo liegen denn die konkreten Bedarfe?
Mirow: Wir wissen, wo es Engpässe gibt: bei Wohnungen für Alleinerziehende beispielsweise oder bei Erweiterungsflächen für Handwerksbetriebe und Existenzgründer. Da sind Bedarfe, die befriedigt werden müssen. Auch gilt es, in die Zukunft zu schauen: Die Gesellschaft wird älter, die Aufenthaltszeit in Krankenhäusern wird sich reduzieren, also muß die Planung Rechnung tragen für die Zeit zwischen Krankenhausaufenthalt und völliger Gesundheit.
Man muß sich zugleich überlegen, wie eine Stadtgesellschaft aussehen wird, in der ein Drittel älter als 60 Jahre ist. Zu sehen, wie Wohnungen im Verhältnis zum Einkaufen liegen, wie die verkehrliche Anbindung ist. Das sind konkrete Planungsaufgaben, die mit Lebenssituationen zu tun haben.
Kuhlmann: Wir brauchen vor allem neue Industrieflächen. Dieser Bedarf steigt, weil die Toleranzschwelle in der Bevölkerung gegenüber Lärm sinkt. Manche Leute stellen sich schon wegen der Emission eines Lötkolbens an. Gegen diese Entwicklung müssen wir angehen. Was den Wohnungsbau angeht: Es ist wichtig, auf Freiflächen, die neben Gebieten mit einem hohen Anteil von Sozialhilfeempfängern liegen, vor allem Menschen mit größerer Kaufkraft anzusiedeln. Nehmen wir mal das Beispiel Güterbahnhof Altona. Liegt direkt neben der Neuen Großen Bergstraße, wo viele Händler extreme Existenzprobleme haben, weil einfach die Kaufkraft fehlt. Also muß doch auf der freiwerdenden Bahnhofsfläche besonders attraktiver Wohnungsbau her, der auch entsprechendes Klientel zur Stabilisierung der Neuen Großen Bergstraße anzieht. Der Rest regelt sich dann von allein...
...allein über die Nachfrage? Wer soll denn Ihrer Meinung nach über die Entwicklung der Flächen bestimmen?
Machule: Man muß das mit der Politik, mit den Immobilienleuten, mit den Kapitalgebern und den Betroffenen diskutieren. Aber die Entscheidungsstrukturen sind festgelegt in unserem System. Die, die das politische Mandat haben, müssen letztlich in Konfliktfällen die Verantwortung für ihre Entscheidung tragen.
Mirow: Die Nachfrage ist ja nicht nur eine unternehmerische im Kaufkraftsinne, sondern gemeint ist wesentlich auch gesellschaftliche Nachfrage.
Kuhlmann: Eine gesamtstädtische Beteiligung herzustellen, halte ich für äußerst problematisch. Wie wollen Sie jemanden, der in Bergedorf wohnt, in einen Planungsprozeß für die Hafen-City integrieren?
Wie wollen Sie verhindern, daß sich Wohnghettos wie Steilshoop, Mümmelmannsberg oder Neu-Allermöhe – ebenfalls einst auf Freiflächen geplant – wiederholen?
Mirow: Daß ein Gebiet wie Neu-Allermöhe-West, in dem so viele Aussiedlerfamilien untergebracht sind, Anfangsschwierigkeiten hat, ist nicht überraschend. Spannend wird es sein, ob es uns als Stadtgesellschaft gelingt, einen solchen Zuzug von Menschen aus einer anderen Kultur zu bewältigen und die Integration zu leisten.
Machule: Bloß kein Übertragen der Großsiedlungen! Das wäre höchst problematisch. Die Welt leidet unter übertragenen Patentlösungen. Das haben schon die Missionare in Afrika versucht.
Kuhlmann: Wir müssen bei künftigen großen Trabanten die Defizite von Neu-Allermöhe vermeiden: Wenn dort Kaufkraft und soziale Mischung stimmten, bräuchte man sich über den Markt keine Sorgen zu machen. Der würde sich von allein etablieren.
Moderation: Heike Haarhoff
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