Weise Hosen aus Athen (7): Eine lange, lange Zeit
■ WM-Bilanz: Komplexe Ereignisse, weiße Tauben und Susen Tiedtke
Um zu erfahren, was man eigentlich zehn Tage lang erlebt hat, eilte man gestern in den DLV-Klub, um den Präsidenten des Deutschen Leichtathletik- Verbandes um Aufklärung zu bitten. „Bei der Komplexität des Ereignisses“, sagte aber der Soziologie-Professor aus Darmstadt, „ist eine pauschale Bewertung nicht möglich.“
*Mark Ostendarp (23) aus Wattenscheid hat recht unbemerkt von der Öffentlichkeit bei seiner ersten WM zweimal seine Bestleistung verbessert und ist über 3.000-Meter-Hindernis schließlich 9. geworden. Er ist sehr begeistert. Das Training, die Schinderei, die Vernachlässigung des Studiums? „Allein durch die Teilnahme“, sagt Ostendarp, „hat sich der Aufwand gelohnt.“
*Der schönste Satz der WM fiel vor langer, langer Zeit. Während der Eröffnungsfeier: „Will you please close your mobile telephone units.“ Machte keiner.
*Man müsse, sagt Digel, einen Lauf ohne Rekord als Höchstleistung, nicht als Enttäuschung präsentieren. Und in Richtung IAAF-Präsident Nebiolo und dessen Weltrekordprämie von 100.000 Dollar: „Eine Orientierung an Weltrekorden, um daraus das Spektakuläre abzuleiten, ist falsch.“ Hat auch nicht funktioniert: Der Versuch, Attraktivität und Wert einer WM durch wenige spektakuläre Höchstleistungen gegen die Grand-Prix-Konkurrenz zu manifestieren und dem an Komplexität womöglich nicht interessierten Publikum den Zugang zu erleichtern, darf als nicht geglückt betrachtet werden.
*Frage an Weitspringerin Susen Tiedtke-Greene: Wie ausgerechnet sie es geschafft habe, als einzige neben der Griechin das Publikum zum freundlichen Mitclappen zu bringen. „Komische Frage“, antwortete Tiedtke-Greene verwirrt, „ich habe in die Hände geklatscht.“
*Man wird es nicht glauben, aber Jelena Afanasyeva hatte einen Traum, den sie zweimal träumte. Sie sah sich jedesmal zweite im 800-Meter-Lauf werden. Also schrieb sie folgenden Satz auf ein Stück Papier. „Ich wurde zweite.“ Bevor sie nach Athen reiste, legte sie den Zettel in ein Buch namens „Russische Enzyklopädie“. Am Samstag wurde sie hinter Ana Fidelia Quirot tatsächlich zweite. Wie man sieht, sagt Afanasyeva nun: „Träume werden wahr.“
*„Ich fand Athen eine gräßliche Stadt, Balkan, ich konnte mir nicht vorstellen, wo man hier wohnt, Kleinstadt, teilweise sogar Dorf, levantinisch, Gewimmel von Leuten mitten auf der Straße, dann wieder Einöde, Ruinen, dazwischen Imitation von Großstadt, gräßlich. (...)“
Max Frisch, „Homo Faber“.
*Einmal glaubte man die Journalisten aus aller Welt mit Kultur, Geistesgröße und Sprache des Landes vertraut machen zu müssen und schickte sie in Aristophanes' großes Drama „Die Vögel“. Dann näherte sich Samstag eine weiße Taube der Haupttribüne und flatterte zielstrebig in die Mixed Zone. Über ihr weiteres Schicksal ist nichts bekannt. Beide Erlebnisse haben die Medien-Schaffenden verwirrt zurückgelassen. pu
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