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Ein nie ausgeführter Schlag

■ Freispruch für Angeklagten / Wachdienst vom Richter getadelt

Paul Souga verstand die Welt nicht mehr, als er ein Schreiben der Hamburger Staatsanwaltschaft erhielt: angeklagt wegen Körperverletzung. Vor zwei Jahren war der Sozialpädagoge am Hauptbahnhof Zeuge eines tätlichen Übergriffs zweier Wachleute des Raab Karcher Sicherheitsdienstes (RKS) geworden. Opfer war der junge Schwarzafrikaner C., der von den Wachleuten zu Boden gerissen wurde. „Ich wollte dolmetschen, da der Junge offensichtlich nur Englisch sprach.“ Das Angebot wurde abgelehnt; statt dessen entwickelte sich ein Handgemenge, wobei Souga einem Wachmann eine schmerzhafte Prellung zugefügt haben soll.

Das Amtsgericht Hamburg folgte am 21. Februar 1995 den Wachleuten, obwohl sich diese in mehreren Punkten widersprochen hatten. Sougas Entlastungszeugen, ein Bediensteter der Hamburger Hochbahn, erklärte Richter von Selle für unglaubwürdig. Dessen Aussage erschien ihm „bemerkenswert glatt und oberflächlich“. Er verurteilte Souga zu 1 800 Mark Geldstrafe. Der 38jährige ging in die Revision.

Gestern fand vor dem Hamburger Landgericht die zweite Verhandlung statt. RKS-Mann S. wiederholte zunächst, Souga habe ihm einen Schlag verpaßt. Auf Nachfrage des sichtlich um Aufklärung bemühten Richters Wolfgang Schlak gab er jedoch zu, er könne nicht „ausschließen, daß der Schlag von einer anderen Person“ gekommen sei. Auch Kollege H. änderte während der Verhandlung seine Meinung: „Es könnte sein“, daß S. auch auf andere Weise verletzt worden sei. Im übrigen habe man C. auch auf englisch („Ausweis, please“) aufgefordert, seine Papiere zu zeigen. Nachdem sich die beiden noch mehrfach widersprochen hatten – niemand wollte das Protokoll, das Souga schwer belastet hatte, geschrieben haben – waren sich Staatsanwältin Anna Catharina Steeger und Verteidiger Tay Eich einig und plädierten auf Freispruch.

Nachdem Richter Schlak schließlich die Rehabilitierung Sougas verkündet hatte, rügte er die Vorgehensweise der RKS-Leute. „Einen breiten Fächer von Rechtfertigungen“ hätten diese für das Vorgehen gegen C. vorgebracht: Keine sei stichhaltig gewesen. Souga habe lediglich schlichten wollen, ein Beweis, daß er S. tätlich angegriffen habe, sei nicht erbracht worden. „Das Gericht glaubt nicht, daß ein Schlag jemals ausgeführt wurde.“

Verteidiger Eich sah sich bestätigt: Alleine 1994 sei in 37 Fällen Anzeige gegen RKS-Bedienstete erstattet worden, wovon S. und C. „noch nie gehört“ haben wollten. Sie stellten sich unwissend wie viele Hochbahn-Offizielle, die Klagen über Gewalt bei RKS-Einsätzen als „offensichtlich unbegründet“ verharmlost hatten. Christoph Ruf

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