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Gift in Schulen weggerechnet

■ Eltern empört: Grenzwert für PCB in Pavillons soll verdreifacht werden / Messungen und Sanierungen bei 129 Schulen verschleppt Von Kaija Kutter

Daß fast alle Schulbauten der 60er und 70er Jahre, die im sogenannten Plattenbau errichtet wurden, in den Fugen krebserregende Polychlorierte Biphenyle (PCB) enthalten können, ist seit Herbst 1993 bekannt. Erst gestern aber wurde publik, wie Hamburgs Behörden sich dieses Problems entledigen wollen.

Anderhalb Jahre lang sei gar nichts geschehen, skandierte Hamburgs Elternkammervorsitzende Christiane Peters. Lediglich in sechs Wandsbeker Schulen wurde exemplarisch die Verseuchung durch PCB gemessen. Auch habe die Schulbehörde aufgeführt, daß das Gift bei 380 Gebäuden an 129 Schulen aufgrund der Bauweise vermutet werden könne. Doch statt zu handeln und weiter zu messen, wurde ein überbehördliches Gremium eingerichtet, dem auch die Elternkammer und die Lehrerpersonalräte angehören durften.

Was deren VertreterInnen nun nach anderthalb Jahren als Handungsperspektive offeriert wurde, veranlaßte sie gestern zum gemeinsamen Aufschrei: Der Richtwert, ab dem ein Pavillon saniert oder ganz geschlossen werden muß, soll künftig verdreifacht werden. „Wir haben den Verdacht, daß es nur ums Kostensparen geht“, sagt die GEW-Lehrerin Ilona Wilhelm.

PCBs gasen jahrzehntelang aus, setzen sich auch in Schulmöbeln, auf Fensterbänken und Fußböden fest. Herstellungsbedingt enthalten sie auch chlorierte Dibenzofurane, die mit dem Seveso-Gift Dioxin verwandt sind. Der Stoff lagert sich über die Nahrungskette im Fettgewebe an. Kinder sind davon besonders betroffen, da sie PCB über die Muttermilch aufnehmen, erläuterte gestern der Hamburger Epidemiologe Dr. Wilfried Karmaus. Neurologische Defizite würden bereits bei Kindern von Müttern festgestellt, deren Milch 3,5 Milligramm PCB pro Kilogramm enthielt. Die tägliche Belastung liege nur um 50 Prozent darunter. Über den Atemweg sei deshalb lediglich eine tägliche Dosis von 3 Nanogramm pro Kubikmeter Luft vertretbar. Ähnliche Werte werden in den USA diskutiert, da das Zusammenwirken mehrerer Umweltgifte eine Minimierung gebietet.

Ganz anders die Hamburger Sichtweise. Bereits jetzt gelten weit höhere Werte: Erst ab 300 Nanogramm werden Maßnahmen ergriffen, ab 3000 Nanogramm werden Gebäude geschlossen. Doch an einem Rechentrick, den die bundesweite Arbeitsgemeinschaft der Bauministerien (ARGE Bau), entdeckt hat, findet jetzt offenbar der Senat Gefallen: Die alten Werte sollen nur bei 24stündigem Aufenthalt gelten. Bei kürzer Aufenthaltsdauer, so heißt es in einer Antwort auf eine Kleine Anfrage der GAL, „gelten folglich höhere Konzentrationen“. Da ein Schüler nur sechs Stunden dem PCB ausgesetzt sei, so wurde den Eltervertretern vorgerechnet, könne man doch aus 3000 Nanogramm 10.000 machen. „Rein zufällig gab es im Bundesgebiet keine Messung über 8000 Nanogramm“, merkt Ilona Wilhelm zynisch an.

Für den Epidemiologen Karmaus ist der Rechentrick inakzeptabel: „Das bedeutet, bewußt Experimente am Menschen durchzuführen.“

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