: Eine gemütliche Geisterbahn
■ Die Comic-Ausstellung „Die 4. Dimension“reist zum Thema Zeit durch den Raum
Zum vierten Mal in fünf Jahren bittet die Initiative Comic-Kunst (INC) zu einer großen Gruppenausstellung, diesmal unter dem Thema Die 4. Dimension. In einem abbruchgeweihten Glaspavillon auf dem Spielbudenplatz haben 150 Comic-Zeichner, Illustratoren und Bühnenbildner einen „Comic-Time-Tunnel“gestaltet: eine Raum- und Zeitreise durch die Comic-Szene der Gegenwart, von Bettina Bayerl bis Anke Feuchtenberger, von Ralf König bis Jim Avignon.
Wie bisher alle INC-Veranstaltungen, brilliert auch Die 4. Dimension durch Witz und Vielfalt der Darstellungsformen. Zum diesjährigen Thema „Zeit“haben die Künstler nicht bloß Comic-Seiten und -Strips gezeichnet. Auch das gute alte Historiengemälde kommt wieder zu Ehren. Lilian Mousli etwa zeigt in einer Cinemascope-Wüstenlandschaft, wie ein Tag im Leben eines kleinen Drachen verläuft. Eine Fensterfront vor dem Bild zerteilt den Streifen in einzelne Stundenbilder, aber wer schräg hinter die Fassade schaut, kann den Zusammenhang auch als Zeitfluß erkennen – oder als Landschaft.
Zurück oder vorwärts, nacheinander oder alles zugleich: Wenn die Ausstellung einen gemeinsamen Nenner besitzt, dann ist es die Liebe zu den drolligen Zeitparadoxien, die sich aus dem sehr comic-speziellen In- und Neben-, Unter- und Übereinander von Bildern, Bilderserien und Bildertafeln ergeben. Ziel des Ganzen, erläutert Organisator Ulf Harten, sei die Aufhebung des linearen Zeitgefühls – das heißt: Verwirrung der Sinne. Via Guckkästen, Illusionsräume und Soundscapes führt die Zeitreise der INC zurück zu den Jahrmarktsgaukeleien und Vaudeville-Sensationen, denen die Bilderwelten gerade der frühen Comics aufs engste verbunden waren.
Die Ausstellung ist als Parcours konzipiert. Wie in einer gemütlichen Geisterbahn werden die Besucher durch kleine und große, helle und schummrige Kabinette geschleust, in denen die Zeichner ihre individuellen Comic-Welten zum Environment ausbauen. Mit offenkundig größter Begeisterung reüssieren sie als Uhrmacher und Installationskünstler – oder inszenieren sich als ihre eigenen Innenarchitekten.
So lebt Isabel Kreitz ihr Faible für die Adenauerzeit in einem gutdeutschen Wohnzimmer samt Cocktail-Sessel und Stehlampe aus: An den Wänden hängen ihre Strips wie „Röhrender Hirsch“-Bilder. Matthias Schultheiss zeigt die Leitmotive aus seiner Science-Fiction-Trilogie Die Wahrheit über Shelby (deren Erfolg vor zehn Jahren den Startschuß für die neue deutsche Comic-Szene gab) als Installation aus Spiegeln, Pendeln und merkwürdigen Zeitmeßinstrumenten. Aus dem abgewickelten Hafenkrankenhaus schließlich hat der schwermütige Schwede Max Anderson („Pixy“) eine originale Sterbepritsche gerettet, auf der die erschöpften Besucher zur Kontemplation geladen werden: An einem umgebastelten Dialysegerät können sie ihre Lebenszeit aus den Venen tropfen lassen.
Schabernack und Durcheinander stoppen also auch vor den letzten Dingen nicht. Selbst der Klobesuch wird im INC-Pavillon zum Erlebnis: Drei DJs vom Freien Sender-Kombinat versorgen das pinkelnde Publikum mit einem zeitlosen Musikprogramm. Jens Balzer
„Die 4. Dimension“: Freitag und Samstag 15-1 Uhr, Sonntag sowie Dienstag bis Donnerstag 15-23 Uhr, Pavilion Spielbudenplatz 2, bis 21. September
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen