: Klassenweise Armuts-Zeugnisse
Studie über Hamburgs Schüler belegt: Kinder alleinerziehender Mütter und von Vätern ohne Bildungsabschluß werden benachteiligt ■ Von Christine Holch
Kirsten kauft eine Dose Cola zu 69 Pfennig und eine Curry-Wurst zu 3,50 DM. Sie gibt dem Verkäufer ein 5-Mark-Stück. Wieviel bekommt sie zurück? Die Hälfte der Hamburger Kinder kann diese Frage zu Beginn des fünften Schuljahres richtig beantworten. Sind die HamburgerInnen damit gut im Bundesvergleich? Diese Frage konnte die gestern vorgestellte Studie zur „Lernausgangslage“von Fünftklässlern nicht beantworten. Die Hamburger Studie ist einmalig. Erst im Herbst wollen andere Bundesländer Stichproben machen.
Innerhalb Hamburgs aber differieren die Fähigkeiten der Kinder je nach Stadtteil erheblich: Die Kinder in den Elbvororten und den Walddörfern erzielten viel bessere Testergebnisse als die in den sozial benachteiligten Stadtgebieten. Entsprechend hatten Kinder, in deren Elternhaus kaum Bücher vorhanden waren, nur halb soviel richtige Lösungen wie die von Eltern mit vielen Büchern.
„Alles nicht überraschend“, sagte gestern Schulsenatorin Rosemarie Raab (SPD), aber nicht für möglich gehalten hätte sie, in welchem Ausmaß sich die Testergebnisse und die von den LehrerInnen ausgesprochenen Empfehlungen für den weiterführenden Schultyp unterscheiden: Erheblich benachteiligt werden die Kinder alleinerziehender Mütter und von Vätern ohne Bildungsabschluß.
So muß das Kind eines Vaters ohne Bildungsabschluß ein Leistungsniveau aufweisen, das über dem Testwert jener Kinder liegt, die eine Klasse übersprungen haben. „Dem Kind eines Vaters mit Abitur dagegen genügt eine Testleistung, die noch unter dem allgemeinen Durchschnitt liegt“, sagte Professor Rainer Lehmann von der Humboldt-Universität in Berlin, der die Studie geleitet hat.
Anders ausgedrückt: In den fünften Klassen der Haupt- und Realschulen sitzen acht Prozent Kinder, die keine Gymnasialempfehlung bekommen haben, eigentlich aber über dem dafür notwendigen Schwellenwert liegen. In den Gesamtschulen sind es sechs Prozent. Da müsse was passieren, meinte die Senatorin. Ein Mittel, um Lehrerwillkür zu reduzieren, sollen „Vergleichsarbeiten“sein. Dabei bekommen alle ViertklässlerInnen die gleichen Aufgaben. Die GEW bezweifelt allerdings, ob Vergleichsarbeiten und gezieltere Beratung in Klasse 4 ausreichen, um die soziale Benachteiligung in Hamburg auszugleichen.
Daß die LehrerInnen an ihren Vorurteilen aber auch arbeiten, zeigen weitere Ergebnisse: Migrantenkinder bekommen häufig einen „Bonus“. Offensichtlich setzen die Lehrkräfte auf die fortschreitende sprachliche und soziale Integration der Kinder. Leicht bevorzugt werden auch Mädchen bei der Gymnasialempfehlung.
Und noch eine gute Nachricht: Nur ein Prozent der Kinder gab an, sich nicht wohl gefühlt zu haben in der Grundschule. Die meisten anderen gingen, und zwar unabhängig von ihrem Leistungsniveau, gern zur Schule.
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