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Steelenser Gren(d)züberschreitung Von Thomas Gsella

Es ist schön, daß Kreise, denen man sich zuzählt, sich als in Teilen irre offenbaren. Kreise sind Gruppen beschädigter Menschen, da machen die eigenen mit Recht keine Ausnahme. Einer meiner Kreise west in Essen-Steele, heißt „Kulturzentrum Grend“ und beherbergt neben Kinderkrabbel- und vergleichbar ruhelosen Räumen eine labend leise Kneipe sowie ein freies Theater, in dem u.a. der große Mime Thomas Koppelberg brilliert. Dies alles ist schön. Denn wo Schönheit ist, wächst das Irre auch, in meinen Kreisen bevorzugt in Gestalt „symbolischer Aktionen“, das heißt laientheatralisch inszenierter Veitstänze, beliebt seit dem Verzicht aufs Steinewerfen und mit Wollust praktiziert von Menschenfreunden, die schlau und eitel genug sind, die eigene Machtlosigkeit als Fülle eigenen Gutseins zu goutieren: dank jener trüben Brühe, für deren Zubereitung man bzw. frau drei Dinge braucht: 1. Quatsch mit Soße, 2. eine Grundausbildung bei den Grünen, 3. die Entschlossenheit zur narzißtischen Übertretung politischer Schamgrenzen. Von Verstandesgrenzen zu schweigen. Aber was ich sagen will:

„Als symbolische Aktion werden wir am 24. August einen Tag lang das Kulturzentrum Grend in eine Gren(d)zstation verwandeln; deutsche Besucher müssen durch Grenzschranken gehen und erhalten ein Visum, das nach einer bestimmten Zeit abläuft und dann neu beantragt werden muß.“ So stand es im Programm zum schönen Musik- und Freßfest „Steele International“, und, bei Gott, so kam es. Eine sich in Grenzschießmontur gefallende Frau blockierte den Eingang, die deutschen Besucher stellten sich zur Visumausgabe an, ich fand eine Hintertür und dann aber trotzdem keine Ruhe: Drinnen ging es weiter. Alle zehn Minuten ließ sich ein mit Möchtegernblut wundgeschminkter deutscher Möchtegernasylbewerber abführen: wonniglich zappelnd und schreiend, herausgezerrt und geschlagen von deutschen Möchtegernsoldaten, die ihn ohne Möchtegernvisum erwischt hatten, und am Ausgang auch gleich abgefilmt vom lokalen Bürgerfernsehen: ein telegenes Möchtegernopfer, ganz phantasierter Winnetou der Abschiebemarter. Was nichtdeutsche Festbesucher sich beim Ausbruch dieser Kollektivpsychose dachten, weiß ich nicht. Ich hoffe inständig: nichts.

Andererseits: Warum sollen Flüchtlinge grad auf für sie erdachten Festen Ruhe vor den Deutschen haben? Auch sie konnten das Programmheft lesen: „Ansatzpunkt war, nach den schrecklichen Anschlägen auf eine Reihe von Flüchtlingsheimen in Essen den hier lebenden ausländischen Mitbürgern mit ihrer Kultur ein breiteres öffentliches Forum zu bieten, sich darzustellen und vor allem in der deutschen Bevölkerung für mehr Toleranz und Verständnis zu werben.“ Was zu beweisen war. Dies ist nun mal die Sprache zwar nicht der Verfolgung, aber der Belästigung. Ein auf Verständnis und Toleranz Angewiesener hat eben nichts zu melden, er darf nur hoffen davonzukommen. Sein Daseinsrecht verleiht der Tolerante. Er sagt dem Flüchtling: Liebe mich, denn ich bin anders gelaunt als die Mörder. Solange meine Kreise stolz drauf sind, Nichtdeutsche zu tolerieren, d.i. zu ertragen, zu erdulden, werden letztere noch einiges zu schlucken haben. Unter anderem Grendszverletzungen.

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