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Leben mit oder ohne Pillen-Cocktail

■ HIV-Infizierte suchen bei ihrer Bundesversammlung Infos über neue Medikamente / Therapie-Verweigerer sind eine Minderheit

Die „Suppenkasper-Gruppe“tagt in einem kleinen Hinterzimmer. „Nein, meine Pillen esse ich nicht“, ist das Motto des Häufleins der Therapieverweigerer. Wie Ulf (37) aus Bremen, seit 11 Jahren HIV-positiv, haben sei keine Lust, ihr Leben mit dem Aids-Virus dem unerbittlichen Diktat der Tabletten unterzuordnen. Auch Arend, seit 12 Jahren infiziert, wartet noch ab.

Währenddessen drängen sich in den Sälen des Bremer Marriott-Hotels die HIV-Infizierten, um sich bei ihrer 8. Bundesversammlung über die neue „Kombi-Therapien“im Kampf gegen Aids aufklären zu lassen. Denn seit die Pharma-Unternehmen binnen 16 Monaten Medikamente auf den Markt brachten, die in einer Zweier- oder Dreierkombination das Virus im Körper bekämpfen, haben viele Infizierte neue Hoffnung auf ein längeres Leben gefaßt. Bei der Deutschen Aids-Stiftung sind schon Anträge auf Finanzierung einer Ausbildung eingegangen.

Offenbar halten die Pillen die Ausbreitung des Virus im Körper auf: Die Teilnehmer dieser Bremer Bundesversammlung seien „viel gesünder“als die vor einigen Jahren, sagte der Mediziner Matthias Wienold. Bisher würden aber erst ein Drittel der Infizierten mit Kombi-Therapien behandelt. Wie Henry, 33, essen sie Pillen, um den Ausbruch der Krankheit zu verhindern.

Die Wirkung der neuen Therapien ist jedoch kaum erforscht. Daraus, und aus den möglichen Nebenwirkungen des Chemo-Cocktails, speisen sich die Vorbehalte der Skeptiker. „Es kann sein, daß das 15 oder 20 Jahre funktioniert, aber vielleicht auch nicht“, bestätigt Dr. Ulrich Hengge aus Essen. Niemand könne heute wissen, ob eine Antiviraltherapie das beste für die Patienten sei. Zudem könne der HIV-Virus allmählich resistent werden.

„Viele haben Probleme, die strengen Vorgaben der Ärzte einzuhalten“, weiß der 28jährige Matthias, seit 8 Jahren positiv. „Alle acht Stunden auf nüchternen Magen eine Handvoll Tabletten zu nehmen, das habe ich nicht durchgehalten“. Doch die Immunwerte sinken, nun will er eine neue Kombi-Therapie beginnen.

Trotz aller Euphorie über „sensationelle Fortschritte“der Medizin warnen Aids-Selbsthilfeaktivisten vor einer „Normalisierung von Aids“, das als Krankheit behandelbar werde. „Kombi-Therapie ist kein Ersatz für das Präservativ“, mahnt Uli Meurer, HIV-Referent der Deutschen Aids-Hilfe, zu weiteren Anstrengungen bei der Aids-Prävention .

Wenn man sich nur auf die Chemie verlasse, drohe ein Rückfall in die Zeiten der Mediziner als Halbgötter in Weiß. Dabei habe sich in der gemeinsamen Suche nach individuell wirksamer HIV-Behandlung ein partnerschaftliches Verhältnis zum Patienten entwickelt. Gesundheit werde wieder als rein medizinisches Problem gesehen, die Frage nach Lebensqualität, für die Aids-Aktivisten jahrelang gestritten haben, ausgeblendet. Gerade in Uni-Kliniken werde Druck auf Patienten ausgeübt, eine Therapie zu beginnen, berichtet René, 29.

Wegen des hohen Informationsbedarfs und weil fast jeden Monat neue Medikamente angeboten werden, müsse sich die Selbsthilfe mehr dem aktiven Patienten- und Verbraucherschutz widmen, sagt Stefan Etgeton, Geschäftsführer der Deutschen Aids-Hilfe. Der Erfahrungsaustausch der Betroffenen werde noch wichtiger. Dennoch müsse weiter politisch gegen das „Stigma Aids“gearbeitet werden.

Hier ist Normalität nicht in Sicht. So wurde eine Bremerin aufgefordert, einen HIV-Test vorzulegen, als sie sich für einen Tanz-Kurs anmelden wollte. Die Leiterin hatte von der Infektion ihres Mannes erfahren. Joachim Fahrun

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