: Spröde Strukturen
■ Herbert Blomstedt eröffnet die neue NDR-Saison mit Brahms und Bartók
Das musikalische Sommerloch ist überwunden und allerorten starten die neuen Spielzeiten. Während am Samstag die Oper mit Macbeth in die neue Spielzeit einführte, hob Herbert Blomstedt in der Sonntags-Matinee den Taktstock zum Auftakt der NDR-Konzert-Saison. Ein wenig war man dem 70jährigen Schweden noch böse, daß er nach nur zwei Spielzeiten nach Leipzig wechseln wird. Dort wird er im Herbst nächsten Jahres das prestigeträchtige Amt des Gewandhauskapellmeisters antreten. So ist es denn die letzte Spielzeit, in der Blomstedt als Chef des NDR-Sinfonieorchesters dirigieren wird.
Kein mutiges, aber ein „musikantisches“Programm lockte eher das Abonnement-Publikum zahlreich in die Musikhalle. Zunächst Brahms. Auch wenn man es schon fast wieder vergessen hat – 1997 ist ein Brahms-Jahr. Es ist ein schwieriges, ein vielleicht nicht so gefälliges Konzert, das Violinkonzert D-Dur von Brahms. Jeder große Geigenvirtuose hat sich daran schon die Zähne ausgebissen.
Frank Peter Zimmermann – nun eben kein geölter Salongeiger – nahm das Werk robust, bisweilen grob. Spitzbübisch grinsend geigte sich der 32jährige in die spröde Struktur. Nicht das makellose Spiel, das Abschnurren eingeübter Virtuosengesten, sondern die Unbekümmertheit des Hochbegabten, sich auf ein „ungeigerisches Werk“(Joseph Joachim) einzulassen, macht Zimmermann zu einer sympathischen Figur in einem sich nicht selten hysterisch gebärdenden Konzertbetrieb.
Auch wenn das Publikum nicht stürmisch reagierte – Anne-Sophie Mutter ist immer noch das blitzblanke, unerschrockene Präzisions-Ideal – blieb doch der Eindruck zurück: Da ist ein neugieriger, emotionaler Musiker, der unbedingt in der klassischen Moderne sein Glück versuchen sollte. Sein Brahms-Bild legte beredtes Zeugnis darüber ab, wie modern Brahms sein kann, wenn es gilt, Formen zu sprengen - auch wenn man das als Zuhörer zunächst nicht so recht wahrnimmt.
Nach der Pause Bartók. Das in Hamburg viel zu selten gespielte Orchesterkonzert von Bartók erlebte eine furiose Deutung, mit der auch Blomstedt seine Stärken demonstrierte. Als Bruckner-, Sibelius- und Nielsen-Experte weiß Blomstedt, wie man große Steigerungen aufbaut, Dramatik schafft und den einzelnen Orchestergruppen das nötige Selbstvertrauen gibt. Bartóks Orchesterkonzert ist eine Lebensbilanz, auch ein schmerzlicher Rückblick auf ein tragisches Leben.
Hier zeigte sich, daß das NDR-Sinfonieorchester über enorme spielerische Reserven verfügt. Der Blechbläserchoral im ersten Satz war überwältigend. Auch die Holzbläser, mit denen Bartók hier ländliches, nahezu unschuldiges Idyll imaginiert, spielten erstklassig. Eigentlich schade, daß Herr Blomstedt schon gehen will.
Sven Ahnert
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