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■ VorschlagWalter Reuter, eine linke Wunschbiographie, im Arsenal

Werner Reuter Foto: Rolf Coulanges

1929 ließ der SPD-Polizeipräsident Zörgiebel die 1.-Mai-Demonstration in Berlin niederschießen. Der Arbeiter Walter Reuter unterstützte damals die Kommunisten und verlor deshalb seinen Job. Weil er nichts Besseres zu tun hatte, machte er Fotos von Arbeitern in einer Laubenkolonie und brachte sie zur Arbeiter Illustrierten Zeitung. 400 Mark bekam er dafür, ein kleines Vermögen. So wurde Reuter, eher zufällig, Fotograf.

In manchem Leben spiegelt sich das Jahrhundert, Reuters Biographie gehört wohl dazu. 1933 floh er mit seiner jüdischen Freundin nach Spanien, geriet eher zufällig in den Spanischen Bürgerkrieg und kämpfte als Freiwilliger auf seiten der Republik. Das Militärische lag ihm weniger. Wahrscheinlich, sagt er heute, „leben noch alle, die ich damals erschossen habe“. So wurde er Frontfotograf einer sozialistischen Zeitung. Das Chaos des Weltkriegs verschlug ihn nach Mexiko. Dort lebt er seit 1942.

Nach Spanien ging er als Kommunist, in Mexiko kam er als unabhängiger Linker an, weil er die „Schweinereien“ (Reuter) der Stalinisten in Spanien gesehen hatte. In Mexiko hielt er sich mit Porträts jüdischer Familien über Wasser – obwohl ihn die kommunistischen Exilierten als Gestapo-Spitzel zu denunzieren versuchten. Eine linke Wunschbiographie, ein Leben ohne ideologische Stützräder.

In Mexiko drehte Reuter Dokumentarfilme und wurde Fotograf einer Illustrierten, die dem US-Magazin Life nachempfunden war. Berühmt wurden seine Fotos der Indios, auch aus der Provinz Chiapas, die mit dem Aufstand der Zapatisten 1992 bekannt wurde. Reuters Schwarzweißbilder sind der sozialkritischen Fotografie verpflichtet – weniger als Anklage sozialer Mißstände, eher bezeugen sie den Reichtum des indianischen Lebens. Sie zeigen die Menschen als Subjekt ihres Lebens, weniger als Opfer der Verhältnisse. So steht in ihrem Zentrum der emphatische Begriff dignidad, was im Deutschen nur unzureichend mit „Würde“ zu übersetzen ist.

Das Arsenal zeigt heute „Raices“ (Wurzeln), einen Episodenfilm, bei dem Reuter erstmals als Kameramann eines Spielfilms wirkte. Vier mehr oder weniger dramatische Alltagsgeschichten, im Stil des Neorealismus. 1954 wurde „Raices“ beim Festival in Cannes mit dem Kritikerpreis ausgezeichnet. Walter Reuter, 1906 in Berlin geboren, ist bei der Vorführung heute anwesend. Stefan Reinecke

„Raices“ von Walter Reuter, heute im Arsenal. Am 15.9. ist im Arsenal Lothar Schusters Porträt über Walter Reuter zu sehen: „Annäherung: Walter Reuter, Fotograph und Filmemacher im Exil“

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