"So wie kurz vor Weihnachten"

■ Interview mit dem Chemnitzer Wirtschaftswissenschaftler Friedrich Thießen, der untersuchte, was man aus der Erfahrung der Ostler bei der Währungsunion 1990 für die Einführung des Euro lernen kann

Seit Monaten tobt die Debatte über die Einführung des Euro. Die Bürgerinnen und Bürger sind verunsichert, sie wissen nicht, was sie erwartet. Frische Erfahrungen mit einer Währungsumstellung haben nur die Ostdeutschen.

taz: Wie kamen Sie auf die Idee, das Verhalten der Ostdeutschen bei der Währungsunion 1990 zu untersuchen?

Friedrich Thießen: Die Ablösung der D-Mark ist beschlossen, und weil das jeden unmittelbar betrifft, lag es nahe, vorhandene Erfahrungen über eine Währungsumstellung auszuwerten. Und die Ostdeutschen besitzen in Europa diesbezüglich nun mal die jüngsten Erfahrungen. Die Erfahrungen der ehemaligen DDR-Bürger könnten vielleicht helfen, Fehlhandlungen zu vermeiden.

Welche Fehler wurden 1990 gemacht?

Nicht wenige kauften fast panisch langlebige DDR-Konsumgüter wie Fernseher für 5.000 Mark oder Trabis, die kurz darauf nichts mehr wert waren. Dies war besonders vom Mauerfall bis März 1990 zu beobachten, als die Ostmark rapide verfiel. Zeitweise lag der Kurs bei 1:20 gegenüber der D-Mark.

Reagierten alle Ostler überstürzt?

Nein, nur die Vorsichtigen, die sich um ihr Erspartes sorgten oder auch, wie zum Beispiel ein Kneipier, glaubten, ihr angehäuftes Schwarzgeld so zu retten. Der größte Teil der DDR-Bevölkerung – wir nennen sie die konservativ Erfolgreichen – bewahrte dagegen Ruhe und wartete einfach ab. Und dann gab es noch die ganz Coolen, die sich überhaupt nicht verrückt machen ließen – zum Teil aber auch einfach deshalb, weil sie kaum Vermögen zum Umschichten hatten. Das bewahrte sie vor unnötigem Ärger wie nach der übereilten Kündigung von Versicherungen, aber auch vor Extragewinnen. Ein ganz Schlauer hatte gleich nach der Wende GmbHs für je 500 Ostmark gegründet, um die Firmenmäntel später zu Westpreisen zu verkaufen.

Was waren die Hauptursachen für die Unsicherheit der Leute?

Besonders das Hin und Her über die Umstellungsmodalitäten. Aufgeschobene Entscheidungen fördern immer das Fluchtverhalten.

Dieses Fluchtverhalten gibt es ja auch heute, insbesondere in den Dollar oder Schweizer Franken. Läuft hier bereits ein ähnlicher Prozeß ab?

Natürlich geht es darum, das Gefühl zu bekommen, erst mal in der sicheren Währung zu sein. Genauso war's 1990, als die verunsicherten Bürger deshalb ihr Bargeld in dauerhafte Konsumgüter umtauschten, um einen realen Gegenwert für ihr Geld zu sichern. Diese Muster beginnen jetzt auch schon sichtbar zu werden, insofern finde ich die Reaktionen der DDR-Bevölkerung damals durchaus vergleichbar mit den jetzigen. Viele wissen eben nicht, was der Euro ihnen bringt.

Trotzdem kann man die Währungsumstellungen doch kaum vergleichen, schließlich geht mit dem Euro keine Umwertung der Wirtschaftskraft und der Konsumkraft der Bürger einher!

Sicher wird es objektiv kaum übermäßige Probleme geben. Andererseits ist der genaue Umtauschkurs noch gar nicht klar und genausowenig, wie es hinterher mit der Wirtschaftsentwicklung weitergehen wird. Das schafft enorme Verunsicherung. Auf dieser emotionalen Ebene gibt es viele Parallelen. Nicht zuletzt, weil sich die Politiker kaum weniger streiten als 1990, empfinden viele Bürger den Übergang zum Euro als gefährlich. Wenn sich die Leute wie einst die Ostdeutschen zu Finanztransaktionen hinreißen lassen, könnte das zu dramatischen Vermögensverschiebungen führen.

Was könnte der Auslöser sein?

Inkonsequente Politik und politische Konstellationen, die insbesondere die Angst der Bürger vor einer falschen Geld- und Wirtschaftspolitik schürt. Außerdem ist noch ungewiß, welche Länder beim Euro mitmachen. Das erhöht natürlich Spekulationen, auch im Hinblick auf die tatsächliche Unabhängigkeit der Europäischen Zentralbank. Gäbe es an der Zweifel, und das verfolgt die Presse sehr genau, könnten große Ängste losgetreten werden. Mit Sicherheit wird es Konfusion bei den Menschen geben, vor welchem Datum man sich besonders in acht nehmen muß: vor 1999, wenn die Umrechnungskurse festgelegt werden, oder vor 2002, wenn die endgültige Umstellung erfolgt? Wir werden noch tolle Zeiten erleben.

Ist die Gefühlslage der Bürger wichtiger als Stabilitätskriterien?

In gewissem Sinne ja. Ob 3,0 oder 3,2 Prozent Verschuldung, ist belanglos. Aber wenn die Bürger das Gefühl bekommen, daß sich die generelle Linie der Politik hin zu noch mehr Verschuldung bewegt, wird sich das auswirken. Auf die Finanzmärkte sowieso.

Emotionen werden durch Informationen, auch fehlende, beeinflußt!

Allerdings, 1990 fühlten sich etliche DDR-Bürger allein durch die hin und her wogende Diskussion verunsichert. Hätten sie statt auf Spekulationen und Gerüchte nur auf vorliegende Fakten geachtet, wären sie besser gefahren. Das gilt heute genauso. Man sollte nicht soviel auf andere hören, die auch nichts wissen, sondern sich auf Tatsachen stützen.

Eine Tatsache Ihrer Untersuchung ist eine Art Endzeitstimmung, die viele DDR-Bürger kurz vor der Währungsumstellung befallen haben soll.

Ja, die Bürger wurden melancholisch, so wie kurz vor Weihnachten. Irgendwann vorm Stichtag ist man fertig, das Vermögen abgesichert. Aber dann dauert es noch ein paar Tage, und alles wartet auf den Moment der Umstellung. In der Zeit gönnten sich viele noch einmal etwas. Einer hat sich eine Goldkette gekauft, andere gingen schön Essen. Auch zum Ende der D-Mark wird sich der eine oder andere was leisten, was er sich sonst nicht unbedingt geleistet hätte. Das ist ein emotionaler Akt, keine Wertsicherung.

Glauben Sie, daß die Ostdeutschen aufgrund ihrer Erfahrungen von 1990 die kommende Währungsumstellung unaufgeregter angehen als die Westler?

Einige Leute, die sich über ihre hektischen Aktionen von 1990 später bitterlich ärgerten, werden sich wohl sagen: So was mache ich nicht noch mal. Emotional fällt den Ostdeutschen der Abschied von der D-Mark vielleicht auch leichter als den Westlern, weil sie vielen ja nicht nur Wohlstand brachte, sondern auch Arbeitslosigkeit.

Wer nun wirklich nicht cool bleiben will, was raten sie dem?

Wer Angst vor Inflation hat, der sollte sein Geld in kurzfristigen Spareinlagen und Festgeldern halten, denn aus denen kann man notfalls sofort heraus ohne Verluste. Generell ist vor allem gegenüber oft noch überteuerten Produkten Skepsis angebracht, bei denen die Wertentwicklung von vielen nicht überschaubaren Faktoren abhängt. Dazu gehören die zur Zeit beliebten Fremdwährungsanlagen, Gold oder Immobilien. Interview: Gunnar Leue