: Großer Star in Gefahr
■ Die Geigerin Anne-Sophie Mutter spielte sich beim Musikfest virtuos und energisch noch tiefer in die künstlerische Krise
Hätte sie sich entschieden, bei ihrem Musikfestgastspiel ein Konzert mit ganz einfach virtuoser Violinliteratur zu spielen wie die vier Zugaben – die Ungarischen Tänze von Johannes Brahms. Dann wäre der Geigerin Anne-Sophie Mutter viel Kritik erspart geblieben. Denn die Wiedergabe der drei Violinsonaten von Johannes Brahms war an diesem teuersten Abend des Festivals nicht ihre Sache.
Anne-Sophie Mutter ist eine große Geigerin, aber auch mit allen Problemen ihrer Biographie geschlagen: Mit dreizehn Jahren von Karajan entdeckt und auf die Podien der Welt gehievt, geriet sie in ein Gefängnis gefährlicher Selbstüberschätzung: „Seit ich zum ersten Mal mit Karajan zusammengearbeitet habe, kann ich mir aussuchen, mit welchen Dirigenten ich zusammenarbeite“.
Nun steht die erst 33jährige, Trägerin des Bundesverdienstkreuzes, Professorin an der Londoner Royal Academy of Music, mit zwanzigjähriger Weltpodienerfahrung da. Und sie müßte ein Automat sein, nicht einmal in eine künstlerische Krise zu geraten, zumal sich auch Interpretationsgeschichte rasant entwickelt hat. Karajans Schönklangästhetik prägte lange die Interpretationshaltung Anne-Sophie Mutters („Ich beschloß frühzeitig, daß er immer Recht hat“). Und leider hat Anne-Sophie Mutter immer sehr brav auch das Bild bedient, das sich andere kommerzversprechend von ihr gemacht haben.
Von ihrem langjährigen, sehr dominanten Partner Alexis Weißenberg hat sie sich getrennt, und in auffälliger künstlerischer Orientierungslosigkeit den Fehler gemacht, nun mit einem Pianisten zusammenzuspielen, der ein perfekt nachgebender und flexibler Mitspieler, aber kaum ein Partner ist. Johannes Brahms, Sonaten für Klavier und Violine, heißt das Original sehr eindeutig. Johannes Brahms, Sonaten für Solovioline mit Klavierbackground heißt die Fassung, die Anne-Sophie Mutter und Lambert Orkis heute spielen.
Anne-Sophie Mutter wuchert künstlerisch ohne Kontrolle, produziert heftige Vibrati, zerteilt eine Melodie in Töne mit lauter verschiedenen Ausdruckskategorien, wählt Tempi, die ihr gerade so in den Sinn kommen und füllt die mit Rubati auf, die wer weiß wo, aber nicht in Brahms' Partitur stehen. Keine Hemmung auch vor satten Vibrati und schleifenden Intervallen: Paganini läßt grüßen. Zwischendurch gibt es immer wieder Phasen mit Tonnuancierungen, die uns den Atem anhalten lassen: Zum Beispiel den Schluß des ersten Satzes der G-Dur-Sonate. Schöner kann man eine Geste des Abschieds kaum gestalten. Diese Momente flackern kurz auf, doch schon ist sie wieder drin in ihrer mitreißenden, ungemein kraftvollen, aber sich selbst überschätzenden Virtuosengeste. Anne-Sophie Mutter – eine große Geigerin in einer großen Gefahr. Ute Schalz-Laurenze
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