: Mehrere Semester Kinderbetreuung versäumt?
■ betr.: „Die Kinder verschwinden“ von Alexander Arenberg, taz vom 25.9. 97
Natürlich ist es unsinnig, sich mit dem Artikel von Alexander Arenberg „Die Kinder verschwinden“ inhaltlich auseinanderzusetzen. Wer auf einer Linie geschiedene Väter und promovierte Mütter als Quelle des die Familie bedrohenden Unheils sieht, für den antiautoritäre Erziehung auf psychische Verwahrlosung abzielt, nach dem Kinder, die er „Küken“ nennt, wenn die Ehe geschieden wird, zu „Geiern“ werden, mit dem müßte man sehr, sehr lange reden – über seine Eltern, seine Kinder, seine Intimbeziehungen. Aber nicht hier.
Man muß jedoch nach dem redaktionellen Konzept fragen, das es erlaubt, solche Auslassungen abzudrucken. Der Artikel ist der Beginn einer von Mariam Lau verantworteten Debattenreihe zum Thema Familie. Es ist sinnvoll, in einer solchen Reihe kontroverse Positionen zu Wort kommen zu lassen. Aber niemand kann ernsthaft meinen, daß es zur argumentativen Klärung der eigenen Position erforderlich wäre, sich mit den dumpfen Phrasen von Herrn Arenberg auseinanderzusetzen. Auch ist es nicht so, daß man darauf aufmerksam gemacht werden müßte, daß solche Phrasen vielerorts gedroschen werden und großen Einfluß ausüben. Das weiß jeder. Und es gibt genügend hochkarätige – und kontroverse – Arbeiten zu der Frage, wie die Institution der Familie in eine liberale Richtung umdefiniert und angeeignet werden könnte.
Die taz erhebt in ihren Werbekampagnen den Anspruch, sie artikuliere eine linke Perspektive, die sonst in der deutschen Presselandschaft kein Forum hätte. Mariam Lau, das zeigen ihre eigenen Beiträge (zum Beispiel der zum Vortrag von Judith Butler) und ihre redaktionelle Arbeit, weiß nicht, wo rechts und links ist. [...] Sebastian Rödl, Berlin
Fast könnte frau meinen, Herr Arenberg habe in seinem Studium mehrere Semester zwecks Betreuung seiner Kinder versäumt. In Anbetracht seiner Ablehnung von Kinderkrippen und Individualisierung ein naheliegender Gedanke. Obwohl ich ihn natürlich in Verdacht habe, hauptsächlich die Individualisierung der Frau zu bedauern – ebenfalls eine Folge der Veränderung der Familienstrukturen, die er in seinem Kommentar unterschlägt.
So schön er mit dem Begriff „Dialektik“ umgehen kann, daß auch das Kinderkriegen Dialektik beinhaltet, hat er offenbar übersehen. Denn ein Kind bedeutet sowohl Bereicherung als auch brutale Einschränkung des eigenen Lebens in Form von abgebrochenen Ausbildungen, Abhängigkeiten von Partner, Eltern oder Sozialamt etc. Unter diesem Zwiespalt entscheiden sich die Frauen verschieden, und so gibt es erwünschte und unerwünschte Schwangerschaften, erwünschte und unerwünschte Kinderlosigkeit. Dahinter steckt kein Paradox, wie er es uns glauben machen möchte, sondern die Vielfalt der Reaktionen von Menschen in aufgezwungenen Konflikten. Eine freiwillige Einschränkung des Individualisierungsprozesses von seiten der Männer könnte einiges abmildern, aber von einem Autor, welcher promovierte Mütter und geschiedene Väter in einem Atemzug nennt, ist eine solche Einsicht vermutlich nicht zu erwarten. Er beruft sich lieber auf Rousseau und die „schöne Diana“, um dann in Floskeln wie „dabei weiß doch jeder“ und „keiner braucht es aufzudecken“ gegen Abtreibung, Schwulenehen und selbst Scheidungen zu wettern.
Ich hoffe doch sehr, er erwartet nicht, daß das Aufziehen der Kinder ohne die Krippen, die er offenbar ablehnt, von Frauen übernommen wird, während Männer weiterhin promovieren und die Zeit finden, kluge Kommentare über die Werte der Familie zu schreiben. Bei zunehmend mehr Frauen zieht das heute nämlich nicht mehr. Aber auf eine so einfache Erklärung für den vielbeschworenen Geburtenrückgang ist er offenbar nicht gekommen. Stefanie Russ, Tel Aviv/Israel
Ich freue mich sehr auf den weiteren Verlauf der taz-Debatte zum Thema Familie. Sie wird hoffentlich anregend und differenziert sein.
Der Beitrag von Arenberg scheint mit seinem oberflächlichen Ritt durch die Geschichte als Provokation am Anfang gut plaziert. Hoffentlich erklären dann die nächsten AutorInnen zunächst, was sie unter dem Begriff „Familie“ eigentlich verstehen. Für Arenberg scheint es diesbezüglich, seit den „über die Hochebene von Kenia trottenden Familien von Homo erectus“ nur ein Modell zu geben: Vater – Mutter – Kind(er). Seinem anthropologischen Familienbegriff steht jedoch entgegen, daß die heutige isoliert lebende Klein- bzw. Kernfamilie eine historisch äußerst junge und bislang kurzlebige Erscheinung ist. Letzteres wird auch von Arenberg – allerdings sehr wehmütig, so scheint mir – bestätigt.
In einem stimme ich mit Arenberg überein: Kinder scheinen in dieser Gesellschaft eine „leidige Restkategorie“. (Wann war das in industrialisierten Gesellschaften anders?) Und auch in meinem Leben sieht es von außen betrachtet so aus. Als (fast) geschiedene (Fast)Akademikerin unterziehe ich mich in diesem Gesellschaftssystem (noch) dem Diktat seiner spezifischen Produktions- und Reproduktionsweisen und nehme für die Betreuung meiner Tochter zum Beispiel staatliche Sozialisationsinstanzen in Anspruch. Aber trotzdem ich und alle anderen alleinerziehenden Frauen die Rolle der in der alten, bürgerlichen Reproduktionssphäre (Hausfrau am heimischen Herd) nicht wahrnehmen (wollen, können), wachsen unsere Kinder nicht mutterlos auf, wie Arenberg schreibt. (Wo leben denn eigentlich die vielen Kinder der angeblich „zunehmend nicht nur vater-, sondern auch mutterlosen Gesellschaft? In Heimen? In „Kinderwochenstätten“?) Die Kinder erleben allerdings sehr wohl „andere“ Mütter (und günstigstenfalls aber zugegebenermaßen sehr sehr selten, andere verantwortungsbewußte Bezugspersonen). Aber auch hier gilt: „Mutter“ ist wie „Familie“ ein zutiefst ideologischer Begriff.
Solch wichtige Hinterfragung umschiffend, gerät das Ende von Arenbergs Beitrag schließlich reichlich moralisch: Was ist der Preis? (Unseres Individualisierungsprozesses – er meint wohl hier in erster Linie die Frauen, nicht umsonst fällt gelegentlich der Name Rousseau.) Mir drängt sich anhand dieser Begrifflichkeit nur noch die Frage auf: Was ER wohl im Großmarkt „Gesellschaft“ zurückzugeben bzw. umzutauschen hätte? Und was wird dann eigentlich „billiger“? Sabine Ferdinand-Hahn, Berlin
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