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Dennoch schreiben, wie einem der Schnabel verwachsen ist

■ Kleine Auflage, großes Streitpotential: ein Gespräch über die Hamburger Literaturzeitschrift „Sog Tellheimer Apfelabschuß“

taz: Hartmut Finkeldey, im vergangenen Dezember hast Du zusammen mit Christoph Wolf die erste Ausgabe einer Literaturzeitschrift mit dem Namen „Sog Tellheimer Apfelabschuß“ herausgebracht. Was macht die zweite Ausgabe?

Hartmut Finkeldey: Die ist seit einer Woche raus.

Oh, das wußte ich noch gar nicht. Dann haben wir ja sogar einen Aufhänger für das Gespräch.

Dann mal vorwärts.

Kann Du dich und Christoph Wolf zunächst mal vorstellen?

Ich weiß nicht . . . Wir sind Ende 20, Anfang 30, beide Studenten, alles andere von uns schreiben wir eigentlich in unseren Texten.

Den Titel mußt Du aber erklären.

Das ist relativ einfach. Tellheim heißt eine Figur in Lessings Stück Minna von Barnhelm, und die Verbindung von Tell zu Apfel liegt auf der Hand. Im Titel stecken also skurrile Anspielungen an die deutsche Klassik. Und dann kommt hinzu, daß wir ein bißchen so etwas machen wollen, wie Wörter abzuschießen. Der Titel ist also nichts anderes als eine ironische Hommage an die deutsche Klassik.

Ist diese Hommage programmatisch gemeint?

Wer das Editorial der ersten Ausgabe gelesen hat, merkt, daß es eher um den Sturm und Drang geht. Die Idee des Blattes ist vom ästhetischen Konzept her, uns vom heutigen lyrischen Mainstream abzusetzen. Und wir wollen ein Forum für Literatur bieten, daß sich außerhalb der Machtkonstellationen im Literaturbetrieb befindet. Was ganz konkrete Auswirkungen hat. So sind wir ganz bewußt völlig selbstfinanziert.

In der ersten Ausgabe hängst Du Dich in einem Selbstinterview weit aus dem Fenster. So schreibst Du von der „Monotonie der beliebigen Vielfalt“ und der „Irgendwieliteratur“. Was meinst Du damit?

Man lese doch einmal die Luch-terhand-Lyrikjahrbücher, von vorn bis hinten, eins nach dem anderen. Wenn man die Autorennamen wegläßt, ist es nicht möglich, einzelne Gedichte einzelnen Autoren aufgrund von Besonderheiten zuzuordnen. Beim Hamburger Ziegel (dem Hamburger Jahrbuch für Literatur, d. Red.) genau das gleiche. Es ist alles dasselbe. So große Könner wie Peter Rühmkorf oder Ulla Hahn einmal ausgenommen.

Ulla Hahn, wirklich?

Ja. Sie ist eine blendende Technikerin und spielt sehr gut mit literarischen Formen.

In der ersten Ausgabe hast Du den Mainstream, wie Du es nennst, mit Deinen „5-Minuten-Gedichten“ auf die Schippe genommen.

Ja, ich habe die einzelnen Gedichte tatsächlich in jeweils fünf Minuten geschrieben, und sie würden in den Lyrikjahrbüchern garantiert nicht als schlecht auffallen.

Was hast Du für Reaktionen darauf gekriegt?

Sehr heftige. Ein Hamburger Autor, der bei uns mitmachen wollte, hat seine Mitarbeit aufgekündigt. Wir wurden verdächtigt, Reaktionäre zu sein. Sogar der Faschismusverdacht ist eingetrudelt. In der neuen Ausgabe gehe ich auf diese Reaktionen ein, in dem ersten Teil einer Serie mit dem Titel: „Briefe, die die neueste Literatur antreffen“. Positive Reaktionen gab es allerdings auch, die wollen wir bei allem Streit doch zumindest nicht ganz verschweigen.

Wie grenzt ihr euch denn vom „Mainstream“ ab?

Heute verkauft sich doch alles mit diesem avantgardistischen Touch. Wir dagegen nehmen an, daß nach Dada kein neuer Stil, keine neue Destruktion mehr kommen kann. Dabei sind wir gar nicht gegen Experimente, nur sind sie seit über 70 Jahren eben keine Experimente mehr. Dada hat das alles schon gemacht. Wir versuchen dagegen, für unsere Sprache eine zweite Unschuld anzunehmen, und sehen einfach keinen Hinderungsgrund, heute im Sinne einer bewußten Naivität zu schreiben. Einfach mal eine Novelle oder ein Sonett über etwas schreiben, das passiert. Im Grunde war ja seit der Konkreten Poesie das Sprechen über Lyrik wichtiger als die Lyrik selbst. Wir wollen zurück zu den Gedichten und den Dingen. So in etwa kann man das vielleicht sagen. Mit „bewußter Naivität“ meine ich dabei: Die Moderne vollzogen haben, sie im Hinterkopf behalten und mit einem selbstironischen Dennoch im Ohr einfach schreiben, wie einem der Schnabel verwachsen ist.

Wenn man sich so aus dem Fenster hängt wie ihr, legt man die Latte für die eigene Produktion recht hoch. Habt ihr denn das Gefühl, mit euren Texten den eigenen Ansprüchen genügen zu können?

Nun, mäßig. Ich kann jetzt natürlich nur für mich sprechen. Insgesamt genüge ich meinen Ansprüchen nur mäßig. Aber bei vier Sachen habe ich die Latte immerhin wohl schon mal angekratzt. Doch, damit kann ich beruhigt sterben, diese vier Sachen geschrieben zu haben.

Das klingt aber arg pathetisch.

Es ist nicht pathetisch. Es ist nichts anderes als ein blöder Spruch.

Nebenbei: Wie hoch ist noch einmal eure Auflage?

Die ist natürlich klein. Die erste Ausgabe hatte eine Auflage von 120, die zweite von 200 Stück.

Fragen: Dirk Knipphals

Der „Sog Tellheimer Apfelabschuß“ ist für 5 Mark zu beziehen unter den Adressen: Hartmut Finkeldey, Kuhnsweg 3, 22303 Hamburg, und Christoph Wolf, Falkensteiner Ufer 30, 22587 Hamburg.

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