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Kurze Einführung in die Marktforschung Von Martin Sonneborn

Vor genau sieben Jahren drohte Herrn Krähe und mir das Geld auszugehen. Also beschlossen wir, in die Berliner Marktforschung einzusteigen. Warum? werden Sie fragen. Nun, wir hatten Ideale, Träume! Und außerdem einen Heidenrespekt vor ehrlicher Arbeit. Zufällig kamen wir auch gleich an das richtige Institut. „Na klar, wir betrügen!“ erklärte uns der Leiter, „aber: wir wollen die Besten dabei sein.“

Die Besten! Das gefiel uns. Nach zwei Wochen kannten wir die Spielregeln: Um Interview- Fragebögen zum Waschmittelverbrauch, Konsumverhalten und der Gefälligkeit von Kinoplakaten zeitgerecht abzuarbeiten, versetzte man sich einfach intensiv wie wahllos in Personen der ausgewählten Zielgruppe. Dann führte man die in Auftrag gegebenen Interviews – nach bestem Wissen und Gewissen – mit sich selbst durch. Je nach Bedarf verwandelte sich so Herr Krähe neben mir chamäleonartig in 33jährige Hausfrauen mit Notabitur, tätowierte Tankwarte mit No-name-Turnschuhen und Magenproblemen, während ich als brünette Germanistikstudentin (Brille, PDS-Wählerin) kurz vor der Zwischenprüfung oder geschiedener Starkstromelektriker (Terrarium, Opel Ascona tiefergelegt) freundlich meine eigenen Fragen beantwortete.

Wie ernst wir dennoch unsere Aufgabe nahmen, wird Ihnen klar, wenn ich folgendes erwähne: Als wir unsere erste und einzige Südstaaten-Whiskey-Studie („Rebel Yell. From the deep South“) durchführten, nahm Herr Krähe pflichteifrig bei jedem neuen Fragebogen wieder den vorgeschriebenen Test-Whiskey ein. Und das, obwohl dieser „Südstaaten-Whiskey“ laut Etikett aus Kentucky stammte, Sie wissen schon, Kentucky in den Nordstaaten, und wir noch gar nicht gefrühstückt hatten!

Muß ich noch einfließen lassen, daß uns der Tag als Tag eines großartigen Rausches im Gedächtnis geblieben ist und daß der Charakter der niedergelegten Antworten mit Fragebogen durch die Stunden hin zu nie wiedergefundener Blumig-, Herzlich- und Ausführlichkeit sich wandelte? Nein, wohl kaum. Andererseits, vergegenwärtigen Sie sich bitte kurz, daß ab und an auch echte Interviews, mit Personen des wirklichen Lebens, nicht zu vermeiden waren. Daß zudem nur der Weg in Wahn-, ja Trübsinn verbleibt, wenn man mehrfach Fragen zu stellen gezwungen ist wie „Welche Automarke entspricht Ihrer Persönlichkeit?“ Und es aus dem gegenübersitzenden Immobilienmakler wie aus der Pistole geschossen antwortet: „BMW!“ Ist es nicht so? Doch doch, das kann ich Ihnen sagen.

Warum wir letztendlich diese unglückselige Branche wieder verlassen haben? Ganz einfach: Manipulation! Immer öfter deuteten Auftraggeber an, wie in etwa das Ergebnis der Studie aussehen könnte. Sie wissen schon, Werbeagentur läßt ihre eigene TV-Jeans- Reklame auf Akzeptanz testen. So derart. Und Herr Krähe und ich sollten Fragebögen liefern, die eher in Richtung „toll“, „wau!“ und „herrlich!“ gehen. Natürlich nicht mit uns, so was. Schnell richteten wir noch einen nordischen Elektrokonzern zugrunde, überwarfen uns mit unserem Institutsleiter, flogen in hohem Bogen hinaus und begannen, auf die Verjährung unserer Betrügereien zu warten. Vom nordischen Elektrokonzern: beim nächsten Mal mehr.

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