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Andacht für einen Provokateur

■ Das Theater Satyricon trägt feierlich König Ubu zu Grabe

Es ist kalt, der Winter naht. Am Ende aller Kämpfe rieselt Schnee von der Bühnendecke und Klaus Nomi fröstelt Purcells „Cold Song“in den Saal: Das Theater Satyricon lädt zu einer Doppelstunde ins Concordia und trägt feierlich König Ubu zu Grabe.

Vor hundert und einem Jahr ging's heißer her. Denn mit seiner Farce vom durchtriebenen Instinktviech Ubu entfachte der 23jährige Alfred Jarry (1873-1907) einen Theaterskandal. Als noch echte Könige herrschten, dampfte er Macbeth und andere Gestalten aus den Historiendramen zu einem feigen und zügellosen Monstrum ein. Die Provokation hat sich überlebt, nicht aber die Gründerfigur absurden Theaters, die mit den bekannten Unterbrechungen in den Jahrzehnten nach Jarry wieder und wieder über die Bühne geisterte. Daß sich jetzt eine freie Gruppe wie das Theater Satyricon mit der Vorlage befaßt, ist in erster Linie dem Dilemma zu schulden, daß bekannte ältere Titel nunmal besser gehen als unbekannte neuere. Macht auf das Tor für Ubu roi, die 198ste.

Das Theater Satyricon, das seine Spielstätte in der Hankenstraße klammheimlich aufgegeben hat und nun als Hausensemble im Kontorhaus residiert, serviert zuerst ein schönes Bild und dann ein groteskes: Das Königspaar mit iglugroßen Reifröcken und Schaumstoffkronen steht für den Prolog gerade, dann lümmeln Vater und Mutter Ubu und Bordure, absurd als Nackte kostümiert, auf einem Tisch herum. Der Ausstatter Stefan Berthold hat das Sujet verstanden, der Regisseur Anatolij Leduchovskij indes ist in einem anderen Film.

Hermann Book als Ubu fispelt zwar mit durchdringender Peking-Oper-Kopfstimme, Benedikt Vermeer mimt zwar ansatzweise den Flegel Bordure, und Galina Zarborskaja spielt zwar als Mutter Ubu das geile Luder, doch hat der Moskauer Spielleiter null Bock auf Radau – ihm ist's elegisch zumute. Standbildhaft läßt er die fünf AkteurInnen bloß einen Jarry-Extrakt spielen und gibt sich sonst als Zeremonienmeister. Zur Hauptsache werden ihm schleppende Prozessionen, die ein Drama mystisch aufladen könnten, hier aber bis zum tatsächlich bildschönen Schluß auf Theaterschneewolke-sieben wie Valium wirken. Christoph Köster

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