: Lernen ohne Geld
■ Ein Wedeler Unternehmen stellt Auszubildende für 590 Mark monatlich ein
Ein Unternehmen aus Wedel trampelt sich einen eigenen Pfad aus der Lehrstellenmisere: Um zehn Azubis zusätzlich einzustellen, hat die Firma ESW-Extel Systems Wedel den Lehrlingen den Lohn gekürzt. 590 Mark monatlich verdienen sie; das Unternehmen zahlt weder Sozial- noch Kranken-oder Rentenversicherung.
Schon in ihren Stellenanzeigen hatte die Firma um Menschen geworben, die „bereit sind, für einen Ausbildungsplatz auf tarifliche Leistungen zu verzichten, um ihre beruflichen Zukunftschancen zu verbessern“. So wollte ESW in diesem Jahr 30 statt 20 Lehrlinge einstellen; einige davon für 590 Mark. An Bewerbungen mangelte es nicht. Rund 100 Jugendliche wollten Industriekaufleute werden, ElektronikerInnen oder MechanikerInnen. „Leute, die noch keinen Ausbildungsplatz bekommen haben, sind eben zunächst frustriert“, erklärt ein Firmensprecher. „Ihnen bieten wir eine Chance.“
Eine gesetzeswidrige Chance, zankt der Betriebsrat: Die Billig-Lehre verstoße gegen die Tarifverträge und gegen den Ausbildungsvertrag der Handelskammer. Beide Verträge schreiben einen Mindestlohn vor, der etwa bei 1050 Mark liegt. Weil ESW dennoch fünf Billig-Azubis einstellte, verklagte der Betriebsrat seinen Arbeitgeber. Nun muß das Elmshorner Arbeitsgericht über die Verträge entscheiden. Wenn die RichterInnen sie unzulässig finden, müßte ESW die fünf Azubis entweder entlassen oder nach Tarif bezahlen.
Die Wedeler Firma verläßt sich derweil auf staatliche Rettung aus der Geldnot: Wenn SchulabgängerInnen weniger als 610 Mark verdienen, bekommen die Eltern Kindergeld. „Dadurch wird der geringe Lohn wieder ausgeglichen“, verkündet ein Sprecher.
Gewerkschaftsmitglieder könnte man freilich nicht so behandeln. Sie müssen Tariflohn bekommen. Deshalb mußten die Billig-Azubis unterschreiben, daß sie in keiner Gewerkschaft sind, berichtet Gunter Barnbek, Pressesprecher der IG Metall Küste. „Schulabgänger sind ohnehin selten organisiert“, hält ESW dagegen. Außerdem seien die Lehrstellen klasse: „Der Arbeitsplatz bei uns ist sehr komfortabel. Die Auszubildenden haben alle Privilegien. Sie bekommen auch Rabatt auf das Kantinenessen.“
Judith Weber
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen