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„Wer mit mir ist, ist gegen mich“

■ Schlechter Maler und schamloser Bourgeois als Vater der Moderne? Die Picabia-Retrospektive in den Deichtorhallen

Lockende Frauenakte hängen neben schwarzen Bildern mit ausschließlich fünf Punkten, schmerzend klischeehafte Landschaften neben stark reduzierten erotischen Symbolen. Doch die Deichtorhallen präsentieren keine Gruppenausstellung, sondern Bilder vom selben Maler aus fast gleicher Zeit: eine Retrospektive auf das Spätwerk von Francis Picabia.

Der 1879 in Paris geborene Sohn eines spanischen Adeligen und einer französischen Mutter ist einer der schillerndsten Künstler der Moderne. Vermögend, da aus reichem Haus, konnte er sorglos offen für alles Neue sein: Er steht im Zentrum der Erfindung von Abstraktion, Dada und Surrealismus, bricht aber stets nach wenigen Jahren mit den Gruppierungen, wenn sie sich ideologisch verfestigen: „Unser Kopf ist rund, damit das Denken die Richtung wechseln kann“, so Picabia.

Um 1933, dem Stichdatum dieser wichtigen Ausstellung, brüskiert Picabia seine Avantgardefreunde inhaltlich und formal durch den harten Realismus, der auch zur Leitschnur totalitärer Kunst der Diktaturen in Ost und West wird. Er lebt in Südfrankreich, sammelt Autos und Jachten, feiert ironisch die Apokalypse und verbringt den Krieg demonstrativ luxuriös unter der Vichy-Regierung.

Daß seine Neigung zur Parodie ein ästhetischer Mangel sei, würden nicht zuletzt Maler-Stars wie Sigmar Polke oder Julian Schnabel, die sich durch Picabia haben beeinflussen lassen, strikt ablehnen. Doch die grandiose Wiederentdeckung dieses Künstlers paßt exzellent in diese Zeit, in der sich so manche Kapitalmarktspieler zynisch bereichern und auf gesellschaftspolitische Zusammenhänge ganz nach dem gelebten Vorbild des Meisters fröhlich pfeifen. „Man muß Nomade sein, durch die Ideen ziehen, wie man durch Länder und Städte zieht“, sagt Picabia und das paßt doch gut zur heutigen Diskussion um Globalisierung. Aber Vorsicht vor Vereinnahmung des radikalen Individualisten: „Wer mit mir ist, ist gegen mich“wird Picabia sogar in den Deichtorhallen zitiert.

Die Ausstellung, deren Anspruch nichts Geringeres ist, als die Kunstgeschichte ein wenig zu korrigieren (und so auch Bilder im Wert steigen zu lassen), stilisiert den schlechten Maler und schamlosen Bourgeois zum Vater aller zitatsatten Modernisten.

In der Tat ist Picabia hervorragend geeignet, die Grundfragen der Moderne zu reflektieren: Was ist ein Bild und wozu dient es? Wie spiegelt Kunst den Alltag, wie politisch muß, wie wenig politisch darf Kunst sein? Ist das Leben des Künstlers als exemplarische Figur das Wichtigste in der Kunst oder das hervorgebrachte Objekt als Ware? Und vor allem: Wie weit darf kunsthistorische Interpretation eigenständig neue Rezeptionskontexte setzen?

Picabias realistische Bilder sind nicht als realistisch zu betrachten, sondern als Zitate der populären Kultur. Die abstrakten Bilder sind nicht abstrakt, sondern Übermalungen voller figurativer Verweise. Aber schlimmer noch: Unter dem Blickwinkel jener Kunstansätze, von denen sich Picabia selbst allerdings ausdrücklich abgewandt hatte, ist diese ganze Malerei gar keine Malerei, sondern nur als Konzept zu genießen. Gewiß, mit diesem theoretischen Schlüssel kann die Tür zur zu dieser bunten Bilderkammer geöffnet werden, aber ob das mehr als bloß einer dieser postmodernen Tricks ist?

Hajo Schiff

Deichtorhallen, ab morgen bis 1. Februar 1998, Katalog (Hatje Verlag) 39,80 Mark

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