: Kinderarbeit ist ein Teufelskreis
■ betr.: „Ohne Kinderarbeit geht es nicht“, „Am Ende werden Kinder geächtet“, taz vom 28.10. 97
[...] Die Autoren schaffen es, indirekt für die Aufrechterhaltung bestimmter Formen der Kinderarbeit zu werben, indem sie keine KritikerInnen der Kinderarbeit ernsthaft zu Wort kommen lassen, sondern nur betroffene Kinder und obskure Organisationen wie „Rettet die Kinder“.
Kinderarbeit ist ein Teufelskreis, auch für die Betroffenen. Kinderarbeit vernichtet besser bezahlte Erwachsenenarbeitsplätze gerade in den Entwicklungsländern. Mütter und Väter werden arbeitslos, wodurch wieder neue Kinder in die Kinderarbeit gezwungen werden. Natürlich haben sie für eine begrenzte Zeit dadurch Lebensunterhalt, schon nach wenigen Jahren werden sie durch neue Kinder ersetzt und teilen dann das Schicksal anderer arbeitsloser Erwachsener. Kinderarbeit ist daher keine Perspektive, obwohl die betroffenen Kinder dies natürlich zunächst einmal aus purer Not und ohne Weitblick so sehen.
Es gibt langjährige Erfahrungen, daß die seit frühester Jugend ausgebeuteten Arbeitssklaven als Erwachsene früh verbraucht sind und jung sterben. Chancen auf dem Arbeitsmarkt für Erwachsene haben sie nicht, weil ihnen die für qualifizierte Tätigkeiten notwendigen Kenntnisse mangels Schulbesuch fehlen.
Kinderarbeit findet unter elendsten Bedingungen, was Arbeitsschutz, Gesundheit und Sicherheit anbelangt, statt, weil Kinder bestenfalls einige Jahre beschäftigt werden und sich deshalb nie eine dauerhafte gewerkschaftliche Organisation unter ihnen herausbilden kann, die kleine Verbesserungen durchsetzen könnte. Im übrigen hat ein(e) ArbeitgeberIn, der/ die immer wieder neue Kinder einstellt, kein Interesse an der langfristigen Gesundheit seiner Opfer. [...]
Deshalb sind auch die meisten Gewerkschaften in Drittweltländern strikte Gegner der Kinderarbeit, die aber aufgrund ihrer Machtlosigkeit nur selten konkret etwas dagegen unternehmen können. Kampagnen gegen die Kinderarbeit daher mit „Paternalismus“, „Protektionismus“ oder anderen billigen Floskeln abzutun, ist allzu einfach. Von der taz hätte ich erwartet, daß sie 25- bis 30jährige Kinderarbeiter fragt, wie sie heute über das Thema denken.
In logischer Fortsetzung der indirekt durchschimmernden Meinung der Autoren hätte ein taz-Artikel vor 140 Jahren über die Auseinandersetzung zwischen Sklavenbefürwortern und Sklavereigegnern in den USA vermutlich so ausgesehen, daß nur die schlimmsten Auswüchse beseitigt werden sollten, weil ja einige der Sklaven durch die Abschaffung der Sklaverei vielleicht ihre bisher sichere Existenzgrundlage verlieren könnten. [...]
Nebenbei: Gerade bei Textilien läßt sich eine Spirale der Armut nachweisen: Weil sie fast nichts kosten, werden die Billigtextilien aus Kinderarbeit beim kleinsten Defekt in die Altkleidersammlung gegeben, diese neuwertigen Altkleider landen in Afrika auf den Textilmärkten und tragen dazu bei, die Arbeitsplätze in der afrikanischen Textilindustrie zu vernichten, weil regulär bezahlte Arbeit von Erwachsenen auch bei afrikanischen Löhnen nicht mehr konkurrenzfähig ist. Damit wird der Boden bereitet für neue Kinderarbeit, weil die arbeitslos gewordenen Erwachsenen ihre Kinder nicht mehr ernähren können. [...] Frank Schmidt, Internationaler
Sekretär, Gewerkschaft Holz
und Kunststoff, Hauptvorstand,
Düsseldorf
Erfreulich zu sehen, daß die taz, wie in diesem Falle zur Frage der Kinderarbeit, nicht mehr bloß radikale Positionen bezieht, was hauptsächlich zum Zweck hat, daß „wir“ „uns“ gut fühlen, weil wir mal wieder ordentlich „was Gutes getan haben“ („Wir wollen Kindern helfen und schützen, im Gegensatz zu den bösen X und Y, die wollen Kinder ausnützen“). Natürlich kann die taz selbst dann progressiv sein, wenn zugegeben wird, daß Schwarzweißmalerei unangebracht ist. Glaubwürdiger und einflußreicher ist das sowieso. Wolfgang Keller,
Toronto, Kanada
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