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Im Orchideenkleid

■ Junge Hunde: Angela Guerreiro tanzt „Plant Hunters“

Auf dem Stuhl sitzt ein Mann. Er wiegt sich, schwankt wie auf einem Boot, spricht unaufhörlich. Aber wovon? Die Worte springen auf seine Lippen – als müßte er sie entziffern aus einem Skript, das verblaßt in seinem Gedächtnis ruht. Nach und nach wird der Text verständlich: In einem tropischen Hafen werden Baumstämme verladen, Flöße gebunden, bei der Arbeit rutschen die „Neger“ zwischen das Holz und werden zermalmt.

Daneben tanzt Angela Guerreiro zwischen acht mit Wasser gefüllten durchsichtigen Kugeln, die von der Decke hängen: kinetisches Prinzip, sichtbar gemacht durch die schwankende Materie. Wann immer sie einen Ball berührt, stößt dieser andere an, es entsteht eine unkontrollierbare Kettenreaktion, mit der sie sich auseinandersetzen muß. Sie springt dazwischen, rollt darunter weg, taucht auf und geht unter, als versänke sie jedesmal in einem ganzen Meer, begleitet von einer seltsamen Musik aus Rufen und Gongs, Grundtönen und Geräuschen aus der E-Gitarre, die nicht mehr zu erkennen ist.

Die Produktion, die Angela Guerreiro mit dem Hamburger Musiker Hendrik Lorenzen erarbeitet hat, ist thematisch und stilistisch angefüllt mit Überraschungen. Es geht um plant hunters – Pflanzenjäger –, um den Zusammenstoß von Natur und Zivilisation. Im Bühnenbild von Dirk Thiele prangen riesenhafte Orchideen auf orange-rotem Untergrund, durch Löcher verschwinden die Tänzerin und ihr Partner aus den an Max Ernst erinnernden skurrilen Gärten in den tiefblauen Hintergrund. Meer und Pflanze vermischen sich mit Mensch und Sprache.

Angela Guerreiro, den Hamburgern nur vom Internationalen Sommertheater auf Kampnagel 1992 bekannt, ist wirklich ein Talent. Die in London, Lissabon und Arnheim ausgebildete Tänzerin experimentiert mit Bewegung und Sprache, zerhackt die Bewegungsabläufe und setzt sie in schnell abfolgenden Schnitten wieder zusammen. Ein mehrmaliges Übereinanderschlagen der Füße erinnert an Monty Pythons Version der Versuche Leonardo da Vincis, die Madonna zu malen. Bei einer anderen Sequenz strömen Knacklaute bei jedem Bewegungsimpuls aus ihrem Mund. Ihr Repertoire wirkt befremdlich, ist weiblich geprägt, mal komisch, mal anrührend, ihr technisches Können von pointierten Stopps gekennzeichnet. Das Stück hinterläßt eine Atmosphäre, die im Theater nur selten zu haben ist: still, nachdenklich, sinnlich, von seltsamen Dingen und Düften angefüllt, die nur in Ausschnitten eine Erklärung bereithalten.

Im November soll die jetzt gezeigte Voraufführung ein ausgereiftes Bühnenstück sein.

Gabriele Wittmann

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