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Postmoderne Fabrik in XXL

Heute brechen im neuen Briefzentrum der Post in Tempelhof moderne Zeiten an: Mit der Handarbeit am Postleitzahlfach und der Päckchenschlepperei ist es vorbei. Im Konzept „Brief 2000“ der privatisierten Post AG soll nur die Leistung zählen: Förderbänder, Videocodierer und Sortiermaschinen verarbeiten bis zu 4,5 Millionen Briefe täglich. Mit dem geruhsamen Postlerleben ist es endgültig vorbei: Die Angestellten werden zu Maschineninspekteuren oder sortieren per Hand den Ausschuß.  ■ Von Peter Sennekap

Jetzt soll endlich richtig die Post abgehen, dachten sich die PlanerInnen – und knüpften für 4 Milliarden Mark ein neues Postnetz mit bundesweit 83 neuen Briefzentren. Fünf unterschiedliche Konfektionsgrößen der Zentren, „S bis XXL“, schneiderten sie zurecht, je nach dem Postaufkommen der Regionen. Für Berlin heißt das: Das denkmalgeschützte Gemäuer hinter dem Anhalter Bahnhof, das alte Briefzentrum der Stadt, paßt nicht mehr ins Konzept. Schluß also mit der hektischen Betriebsamkeit in der Möckernstraße, die meist abends gegen neun Uhr ausbrach, wenn die Briefe sortiert waren und die Auslieferung in alle Himmelsrichtungen begann; wenn mal wieder der Aufzug mit den Postbeuteln für Frankfurt am Main im Schacht feststeckte, aber die Postfahrer die Flieger in Tegel noch erwischen mußten. Keine Studenten sind mehr zu sehen, die schwere Rollwagen mit hundert Kilo Post über den Hof ziehen, auch keine Handsortiererinnen, die Standardbriefe in Leitzahlfächer stecken. Und auch die wohlgezielten Schläge mit dem Besenstock auf die ewig klemmende Postrutsche sind nun Geschichte.

Hochmoderne Zeiten brechen dafür im neuerrichteten Briefzentrum in der Eresburgstraße in Tempelhof an. Auf 282 Meter Länge und 78 Meter Breite haben Techniker für 100 Millionen Mark unzählige Förderbänder installiert, Anschriftenlesemaschinen, Videocodierer und Sortiermaschinen angeschlossen. „Konfektionsgröße XXL“ bekam das Briefzentrum mit Blick auf die Postmengen nach dem Regierungsumzug verpaßt. Heute ist die Testphase beendet, und nun müssen in dem in fünfzehn Monaten Bauzeit hochgezogene Briefzentrum alle Probleme behoben sein – und davon gibt es derzeit genug.

In der riesigen Halle zirkulieren schon seit Wochen über den Köpfen der Postler Tausende Briefbehälter. Die angelieferte Post wird von Robotern auf Fließbänder gesetzt. Nicht von Geisterhand, sondern mit Hilfe aufgedruckter Strichcodes geleitet, suchen sich die Behälter ihren Weg selbst. An den Kreuzungen des weitverzweigten Fließbandlabyrinths biegen sie nach links oder rechts ab und steuern die elektronischen Lesemaschinen an. Hand anlegen müssen die Postler nur noch, um die Briefe vom Behälter in die Maschinen einzulegen. Sortiert treten die Millionen Sendungen anschließend in neuen Behältern ihre Reise zurück zu den Laderampen der Postlastwagen an – wiederum strichcodegeleitet und automatisiert.

„Bis zu 36.000 Briefe nimmt eine einzige Maschine pro Stunde auf“, erklärt stolzerfüllt die Einweiserin den noch etwas irritiert wirkenden MitarbeiterInnen des alten Briefzentrums. Ihre Irritation ist verständlich: Was soll zukünftig noch ihre Aufgabe sein ? Zwar können die Maschinen nicht alle Kritzelschriften lesen, zwar stellt die Verpackungskunst vieler Absender – auch adressierte und frankierte Schokoladentafeln werden zuweilen verschickt – die elektronischen Leseköpfe und die Mechanik vor unlösbare Aufgaben. Doch über 85 Prozent aller Briefe will die Post künftig maschinell sortieren lassen. So sehen es die PlanerInnen in ihrem „Brief 2000“-Konzept vor. Bisher war dies nur bei 24 Prozent der Briefe möglich. Auch die Post-Transporte sollen bundesweit von 150.000 Fahrten täglich auf ein Drittel reduziert werden. Das steigert das Rationalisierungspotential und kostet Arbeitsplätze. Darum wurden bereits für langjährige MitarbeiterInnen Abfindungen gezahlt und mit der Postgewerkschaft Vorruhestandsregelungen ausgehandelt.

Die große Zahl „befristet Beschäftigter“ befürchtet eine große Entlassungswelle Anfang kommenden Jahres. „Keiner weiß, ob sein Vertrag verlängert wird, die sagen nichts“, ärgert sich ein FU- Absolvent und füttert weiter seine Standardbriefsortieranlage (SSA), während der „SSA-Gruppenführer“ (so tatsächlich der postoffizielle Titel) nach einem Techniker sucht. Wieviele der tausend Arbeitsplätze im Tempelhofer Postzentrum betroffen sind, verrät die Geschäftsleitung nicht.

In der „Postfabrik“ bestimmen zunehmend die Techniker die Bildfläche. Überall blinken in der von den Maschinen aufgeheizten und staubtrockenen Halle rote, grüne, gelbe Signale: „Störung“ oder „Handentnahme“ teilen sie mit, ertönen Sirenen beim Maschinenstart und -stopp. Wenn ihr Handy piept, eilen die Techniker auf ihren gelben Postfahrrädern die Fabrikstraßen entlang zum Einsatzort, programmieren an den computerisierten Maschinen herum, bis diese wieder laufen. Briefe, die die Automaten nicht schlucken, die zu groß und zu sperrig sind, wandern in die „Maxibriefsortieranlage“. Hier prüfen eilige Blicke von PostlerInnen aus Fleisch und Blut das Porto, wird die Postleitzahl per Hand in den Computer getippt und die Post anschließend in die computergesteuerte Rotationsanlage katapultiert.

Weil Hand- und Kopfgeschwindigkeit das Leistungsniveau immer noch beeinflussen, im neuen Briefzentrum aber genau meßbar und bundesweit vergleichbar sind, wurde sogleich der Ausdruck „Konkurrenzkampf“ Thema in den Pausengesprächen. Schon werden erste Zahlen der Probephase genannt. Hamburg etwa sei schneller. In einem internen Brief an die Beschäftigten forderte die Betriebsleitung dann zur „Ärmelhoch-Aktion“ auf. 20.000 Mark für die Belegschaftskasse sei der Gewinn, wenn alle schneller arbeiteten. Gleichzeitig kursierten Gerüchte, die Betriebsleiter kassierten sechsstellige Prämien, wenn sie ein höheres Leistungsniveau durchsetzten. Über die genaue Summe schweigt sich die Post jedoch aus. Man ist eben jetzt ein privatwirtschaftliches Unternehmen und da seien Prämien selbstverständlich.

Das Berufsbild vom geruhsamen Leben als Postler ist längst passé. Die Beamten, Angestellten, StudentInnen, Leiharbeiter und Akademiker hacken Postleitzahlen in die Tastaturen, befüttern zügig Lesemaschinen oder setzen Postbehälter von Fließbändern ab. Laut hatte bei der Einweisung noch eine junge Postlerin kritisiert: „Alles ist so angeordnet, daß man sich gar nicht mehr unterhalten kann.“ Doch die Einweiserin gab eine unmißverständliche Antwort: „Sie sind ja auch zum Arbeiten hier und nicht zum Reden.“

Ganz offensichtlich bringt der Wechsel in die Postfabrik große Veränderungen mit sich. Körperlich harte Arbeit wurde reduziert – das lag auch im Interesse der Gewerkschaft –, dafür monotone und kommunikationsarme Maloche geschaffen. Absurde Phantasien setzt das frei: „Würde das Zugangs- und Abgangsfließband aneinandergekoppelt“, belustigt sich ein Maschinenbediener, „wir könnten unendlich die gleiche Post bearbeiten und keiner würde es merken.“ Bis zu 4,5 Millionen Sendungen täglich soll die Fabrik verarbeiten und 95 Prozent aller Briefe sollen zukünftig nach einem Tag ihr Ziel erreichen. „Der international geprägte Verdrängungswettbewerb“, wie die Post AG höchstselbst formulierte, will bedient sein.

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