piwik no script img

Das Klischee

Weißt du, als was Berber Harald arbeitet in sein' 620-Marks-Job? Als KLISCHEE! Da kannst du dir nichts drunter vorstelln? Na, dann fahr mal deine Antenn' aus, denn Harald sein Job-Konzept ist nämlich sowas von innowatief, da könnte die SPD vor Neid rot werden: Harald ist nämlich mit Leib und Seele Berber und öddelt Leute an von wegen ne kleine finanzielle Beihilfe. Aber diesen Job brät er NOCHMAL aus, indem er sich beie Öddelei von rechte Zeitschriften fotografiern und von konservative TV-Sender film' läßt. Und dafür natürlich kassiert! „Die Aufgabe eines Klischees zu erfüllen“, sagt er, „ist gar nicht so schwer. Zuerst fiel es mir – zugegeben – nicht leicht, mit der Fünfliterflasche Rotwein neben dem Eingang eines Kaufhauses zu sitzen und alle fünf Minuten einen Schluck aus der Bombe zu nehmen.“„Wieso ist das nicht leicht?“fragt mein Stammkunde, Studienrat Arnold, ironisch. „Naja“, antwortet Harald, erstens mag ich gar keinen Rotwein. Ich verabscheue Alkohol überhaupt, weil ich ihn einfach nicht vertrage mit meinem empfindlichen Magen. Einmal hatte ich ja Traubensaft in die Bombe gefüllt, aber als ein Kollege einen Schluck abhaben wollte, ist es herausgekommen. Schön, nach einigen Tagen hatte ich mich an die Schluckerei gewöhnt. Dabei unterstützte mich auch sehr die Ermunterung durch die Passanten.“„Ermunterung?“fragt jetzt Jungunternehmer Aschler erstaunt. „Naja, die Leute haben geprollt: ,Diese unappetitliche Sauferei in der Öffentlichkeit! So etwas müßte bestraft werden!' Ein alter Herr hat immer ,Arbeitslager! Arbeitslager!' geschrien. Und ein Lokalpolitiker hat wild mit den Armen gerudert und geröchelt, daß man Hamburg unbedingt von Hundehaufen, Graffiti und bettelnden Alkoholikern säubern müßte. Und jede zweite Mutti hat mich ihrem Kind gezeigt und gesagt, daß es so werden würde wie ich, wenn es sein Zimmer nicht aufräumte. Das waren ja im Grunde alles Komplimente für meine glaubwürdige Arbeit.“„Und dieses Rotweintrinken ist das Hauptmotiv, das Sie den Medienleuten bieten müssen?“„Das wäre in der Tat ein Schmalspur-Angebot, das Anöddeln kommt natürlich hinzu.“„Und was ist darunter zu verstehen?“„Aggressive Bettelei! Ich stöhne: ,Kohle her, oder ich schlitz dich auf!' und verdrehe meine Augen dabei so dramatisch, wie es nicht einmal Jack Nickolson bringen würde. Meine größte Stärke ist allerdings meine Pöbel-Nummer. Die leite ich immer damit ein, daß ich einen Aktentaschenträger anseibele. Etwa so: ,Guck mal den Spießer mit seiner Tasche! Du bist ganz schön bescheuert, daß du für mich malochst!' Wenn ich diese Provokation gebracht habe, haben sich meist schon viele empörte Passanten um mich geschart, die mit vor Wut überschnappenden Stimmen Vorschläge machen, zu welcher Arbeit man mich ZWINGEN müßte. Da lache ich dann schrill auf und sage: ,Mach ich alles! Ich tanz bei jeder Firma an, die ihr wollt, aber was kann ich dafür, wenn ich gleich am zweiten Arbeitstag schwere Depressionen kriege?' Jetzt muß meist schon die Polizei eingreifen, um mich vor der aufgebrachten Menge zu schützen, der – und natürlich meinen Medienkunden – ich mal wieder alle gängigen Klischees geliefert habe... Ach ja, und die LINKEN Zeitungen zahlen mir auch noch eine Prämie für jedes Klischee, das sie in den rechten Zeitungen finden...“

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen