: Nichts ist mehr ausgeschlossen
Nach dem 2:1 gegen den HSV plant selbst Otto Rehhagel „Herbstmeister“ Kaiserslautern für die Teilnahme an einem europäischen Wettbewerb ein ■ Vom Betzenberg Günter Rohrbacher-List
Ja, die Zeiten haben sich schnell wieder geändert beim 1. FC Kaiserslautern. Vorgestern Abstieg, gestern Aufstieg, heute nach Abschluß der Vorrunde immer noch Tabellenführer, morgen Meister? Ausgeschlossen ist nun nichts mehr, auch nicht, daß die Bayern bis zum allerletzten Spieltag den Lauterern hinterherhecheln wie der Hase dem Igel. Dann spielt der 1. FCK beim HSV und wird das Glück brauchen, das die Hamburger am Samstag in der Pfalz nicht hatten.
Beim vorletzten Mal, als der 1. FC Kaiserslautern in der Bundesliga gegen den Hamburger SV spielte, standen die Pfälzer auf einem Abstiegsplatz. Das war am 13. April 1996. Die Hamburger trugen damals mit ihrem 2:1-Sieg entscheidend zum Abstieg ihres Gegners bei. 19 Monate und 16 Tage später waren auf dem Betzenberg alle Rahmenbedingungen anders.
Das Spiel allerdings begann erst nach knapp einer Stunde, als der HSV – längst dezimiert nach Anthony Yeboahs gelb-roter Karte nach Fouls an Brehme und Sforza – durch Hasan Salihamidzic überraschend mit 1:0 in Führung gegangen war. Bis dahin war der Verlauf des Spiels völlig atypisch für dramatischen Fußball à la Betzenberg gewesen. Zwar waren auch Gegner wie der VfB Stuttgart und Hansa Rostock in Führung gegangen, doch dies hatte sich stets in der 1. Halbzeit ereignet und zur Folge gehabt, daß hüben wie drüben weitere Tore gefallen waren.
Doch der Spielfilm dieses letzten Vorrundenspiels war lange eine Aneinanderreihung von Unzulänglichkeiten, vor allem bei den Lauterern, denen ihr Libero Miroslav Kadlec fehlte. Seinem Vertreter Andreas Brehme unterliefen etliche Fehler beim Abspielen und im Spielaufbau. Ciriaco Sforza versuchte zwar das Spiel zu dirigieren, vermißte aber seinen kreativen Anspielpartner Olaf Marschall. Vorne standen sich Pavel Kuka und Jürgen Rische permanent gegenseitig im Weg.
Als es nach 70 Minuten immer noch 0:1 stand, war es Trainer Otto Rehhagel leid: Kuka und Rische mußten raus, Stefan Ertl, meist bei den Amateuren im Einsatz, und Marian Hristow kamen rein. Daß letzterem in der letzten Minute das 2:1 glückte, war ein weiterer Baustein für den Wiederaufbau des 1996 zusammengebrochenen 1. FC Kaiserslautern.
Dem HSV ging es ähnlich wie anderen zuvor: Wenn man nicht gut gespielt hatte, so hatte man zumindest gut gekämpft, aber knapp verloren. Der HSV war allerdings, verglichen mit Hertha BSC, dem VfB Stuttgart, dem MSV Duisburg und Hansa Rostock die eindeutig schwächste Mannschaft, die so knapp in Kaiserslautern verlor.
Aber die Hamburger trafen auf einen 1. FCK, der so kurz vor dem Halbsaisonziel nicht einbrechen wollte. Das Ziel war der Mannschaft von außen formuliert worden: „Herbstmeisterschaft“, ein Titel mit dem Haltbarkeitsdatum von gerade mal sechs Tagen, denn schon am kommenden Freitag überqueren die Bayern den Rhein in Richtung Betzenberg.
Vieles wirkte verkrampft auf Lauterer Seite, die Kreativen wie Ratinho und Sforza sahen sich gebremst in ihrem Bestreben und agierten unsicherer als sonst üblich. Ob sich daran gegen die Bayern etwas ändern wird, hängt auch von Kadlec' Genesung ab. Der Tscheche will am Ende dieser Saison aufhören und seiner Familie nach Hause folgen, am liebsten mit dem Meistertitel zum Abschluß. Davon zu sprechen, ist sein Vertreter Brehme weit entfernt. Da darf es denn ein „Platz unter den ersten Fünf“ sein.
Doch eines hat sich seit Samstag geändert in der Pfalz: Es muß nicht mehr mit Strafe rechnen, wer nicht nach unten zählt. 40 Punkte gegen den Abstieg hatte Rehhagel gefordert, 39 sind jetzt erreicht. Jetzt geht der Blick nach oben, in Richtung Champions League oder zumindest Uefa-Cup. Otto Rehhagel aber hat auch gegen den HSV alles richtig gemacht und steht inzwischen abseits aller Kritik wie seit Karl-Heinz Feldkamp (1990/91) keiner mehr. Der Trainer erlaubt seinen Spielern jetzt offiziell, die neu definierten Ziele hinauszuposaunen.
Doch die Freude wäre nicht perfekt, mischte sich nicht auch Unangenehmes mit hinein. Präsident Hubert Keßlers Worte gegenüber dem Radiosender RPR werden Entrüstung auslösen. Dauerkarten soll es demnächst aller Wahrscheinlichkeit nach nur noch für Vereinsmitglieder geben. Grund: In den europäischen Wettbewerben dürfen nur 26.000 Zuschauer ins Fritz-Walter-Stadion.
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