Ausnahmeerscheinung mit Weltgeltung

■ Er ist Oboist, Dirigent, Komponist und davon fast nie überfordert: Heinz Holliger ist heute Gast der Kammerphilharmonie Bremen und sprach vor dem Konzert mit der taz

Multitalente haben es im Musikbetrieb schwer. Wenn Dirigenten auch komponieren, Instrumentalisten auch dirigieren, oder wenn Komponisten ans Pult treten, erzwingt der Musikbetrieb nicht unbedingt die Aufgabe des Ausgangsberufes. Aber eine einseitige Festlegung ist oft doch die Folge. Eine absolute Ausnahmeerscheinung in diesem nicht immer guten Getriebe ist Heinz Holliger. Denn der 1939 geborene Schweizer hat als Oboist, als Komponist und als Dirigent in gleichem Maße Weltgeltung. Heute abend ist er in Bremen und tritt als Oboist und Dirigent mit der Deutschen Kammerphilharmonie auf. Der taz verriet Holliger, wie er drei Berufe miteinander vereinbart.

taz: Herr Hollliger, die Verzahnung von Instrumentalist, Dirigent und Komponist: Setzen Sie da Schwerpunkte, und was bedeutet das für Ihre Existenz?

Heinz Holliger: Für mich ist es eine absolute Einheit in dem Sinne, wie es ganz früher war. Es gab ursprünglich niemals die Trennung dieser Berufe, zu der es heute leider gekommen ist. Und heute ist es ja auch so, daß zahllose Instrumentalisten zum Beispiel dirigieren, weil sie auf dem Instrument einfach zu schlecht waren: ich will da keine Namen nennen. Aber ich erinnere an Mozart, Bach oder Beethoven.

Aber heute ist jeder dieser Berufe ein eigener Fulltimejob. Wie kriegen Sie das hin?

Es ist schon manchmal furchtbar schwer – auch unmöglich zum Teil. Aber es geht, ich muß dirigieren und spielen, um Komponieren zu können. Und umgekehrt.

Hat die Komponistenexistenz eigentlich Einfluß auf das Interpretieren?

Ich glaube schon. Ich identifiziere mich sehr stark, und ich dirigiere und spiele nichts, was ich nicht auch gut finde. Das ist das eine. Das andere ist, daß ich natürlich viel offener für die gegenseitigen Probleme bin. Ich vertue mich einfach nicht. Als Komponist weiß ich, was und wie die Musiker spielen können, als Dirigent weiß ich, wie kompositorische Prozesse verlaufen.

Sie spielen heute das Oboenkonzert von Isang Yun, das der todkranke Komponist für Sie geschrieben hat?

Ja, er hat extra so geschrieben, daß ich dirigieren und spielen kann.

Sie haben, was auch zahlreiche Kompositionen von Ihnen zeigen, eine große Liebe zu Robert Schumann. Können Sie die benennen?

Es ist die ständige Emphase, das Tiefenpsychologische vielleicht, das uns in unendliche Irrgärten führt.

Heute abend erklingt Schuberts vierte Sinfonie. Was bedeutet Schubert für den Komponisten Holliger?

Bei Schubert fasziniert mich der Wanderrhythmus, der ständige Herzschlag – wie eine Obsession.

Was würden Sie als erstes an unserem Musikbetrieb ändern?

Die Erziehung der Kinder. Daß sie wieder verstehen lernen, daß Musik eine Sprache und nicht eine Klangtapete ist, die im Grunde genommen ihre Seele tötet.

Fragen: Ute Schalz-Laurenze

Fotos: Katja Heddinga

Heute abend um 20 Uhr in der Glocke: Deutsche Kammerphilharmonie unter der Leitung von Heinz Holliger mit Werken von Krenek, Schubert und Isang Yun.