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Old Shatterhand forever

Ernst Jünger und das Indianerspiel: Im Dialog mit Rudolf Schlichter und in jüngsten Tagebüchern verrät der älteste amtierende Dichter eine Vorliebe für die Popkultur  ■ Von Erhard Schütz

Ach ja, Ernst Jünger. Was soll man noch sagen? Tiefes Bedauern für den, der ihm irgendwann doch wird nachrufen müssen. Er, seine Bücher, die Anekdoten, Gerüchte und Urteile über ihn, die Sekundär- und Tertiärliteratur dazu sind schon so lange in der Welt, daß weder er über sich noch jemand über ihn Neues sagen kann. Diese Einsicht ist nicht neu. Vor zig Jahren schon hat Helmut Lethen angestoßen, stärker auf Gemeinsamkeiten von Brecht und Benjamin, Jünger und Carl Schmitt zu sehen denn auf die flache Hand der Unterschiede. Auch dem ist kaum noch etwas hinzuzufügen. Außer vielleicht ein paar weitere Namen, außer vielleicht weitere Einflüsse aus den Buchgenerationen zuvor.

Ernst Jünger hat in der neuesten Lieferung seines Tagebuchs (1991 bis 1995) Hinweise dafür gegeben. Man kann sie mit denen verbinden, die sich im Briefwechsel mit Rudolf Schlichter finden. Der ausgezeichnet kommentierte Band enthält Briefe vieler Personen, und der Anteil Schlichters überwiegt bei weitem den von Jünger, gleichwohl prangt dessen Name entschieden größer auf dem Umschlag. Das Jahrhundert Jünger? Der Jahrhundert-Jünger hat sich sehr zurückgehalten. Er zeigt sich so nobel, wie er auch zu den Zeiten war, in denen man ihn gern als Blutsäufer gesehen hätte. Und er schreibt nach der Devise: Wer wenig schreibt und lapidar, gibt sich wenig Blößen, außer denen von Banalität und Langweilertum. Davon findet man genug. Zum Beispiel Jammern auf heldischem Niveau – zur Zeit des Vorstoßes auf Stalingrad, des Himmler-Erlasses zur Deportation aller Juden und Jüngers bevorstehendem Wechsel von Paris in den Kaukasus: „In diesen Wirren erkennt man den Wert des Kunstwerkes als einer höheren Substanz. [...] Meine Mißstimmung ist oft bedeutend, aber was hilft's – wir müssen durch diesen Sack hindurch. Die Schrift über die ,Illusionen der Technik‘ meines Bruders schmolz beim letzten Angriff auf Hamburg im Satz. Auch ich bin immer in Sorge um meine Manuscripte.“ Manuskripte und Jünger überlebten bekanntlich, weiter ging es mit dem einschlägigen Selbstbild. „Der musische Mensch“, offenbart Jünger 1950, „ist heute a priori derjenige, der als Feind begriffen wird, und zwar unter jedem Regime. Die Regierungsformen ändern ja nichts.“ Gleichwohl weiß er Unterschiede zu schätzen: „Zeitweilig durfte ich mir schmeicheln, dass die gesamte deutsche Presse gegen mich Stellung nahm. Derartiges wirkt aber nur beunruhigend, wo der Genick=Schuss noch funktioniert.“

Das einschlägige Selbstbild: 1946 findet Jünger zwar das Wort Surrealismus „unmöglich“, die Sache aber bedeutend. „Ich meine, daß es [...] Zeit für ein neues Manifest wäre.“ Man spielt noch immer Avantgarde. Seine Überlegungen stammen, so notiert er, aus Unterhaltungen mit Braque und Picasso. Schlichter und Jünger tauschen sich aus über die beiden anderen Mitbewerber im Magischen, Kubin und A. Paul Weber, wobei letzterer abgeschrieben wird, weil er sich mit der NS-Propaganda einließ und „den zeitigen Ruhm, sich selbst entlarvend, dem künftigen vorgezogen hat“.

Es ist die breite Front der deutschen Surrealismusrezeption, an die man noch einmal erinnert wird. Auch hier gibt es weitreichende Querverbindungen. Nicht nur in den Traumprotokollen, die Jünger ja sein langes Leben lang fortgeführt hat und die auch – wie kleine, spannende Filmplots – die jüngsten Tagebücher durchziehen. Nicht nur in den Drogenexperimenten, von denen Jünger weise im Tagebuch notiert, daß er sie nun nicht mehr brauche. Mehr noch im Verhältnis zu Magie und Mystik. In den Tagebüchern erinnert Jünger sich an seinen später von den Nazis ermordeten Mitschüler Werner Scholem und zitiert aus dem Briefwechsel mit Gershom. Der Nachwelt erläutert er vorsorglich: „Werner war Politiker in Berlin und Gershom Professor für Kabbalistik in Jerusalem. Die Eltern waren deutschnational.“

„Siebzig verweht V“: Wer hier kleinere Pointen finden will, der findet sie („Heut gilt es für löblich, gegen den Strom zu schwimmen, aber das sind nur Pißrinnen“), wer Alltagsbeobachtungen aus der Schildkrötenperspektive sucht, ebenfalls („Lakonische Begrüßung: ,Wie geht's?‘ ,Muß!‘“). Wer über Banalitäten sich ärgern will, hat sein Auskommen. Wer aber lesen will, wie Jünger die Jubelfeiern zum Hundertsten wahrnahm, der wird jüngersch abgespeist, mit kargen Bemerkungen. Ebenso zum Zeckenbiß, der seinerzeit eine präventive Nachrufshektik in den Medien ausgelöst hatte.

Statt dessen erhöht sich die Selbstreferenz. Das System Jünger ist in die nächste Phase eingetreten: Das Tagebuch notiert etwa die Umbruchskorrektur von „Siebzig verweht III“ oder zitiert gar einen Brief, der wiederum auf unterschiedliche Fassungen von „Strahlungen“ eingeht. Überhaupt ist Jünger sehr mit sich beschäftigt – oder mit dem, wie man sich mit ihm beschäftigt. Er notiert süffisant, daß man ihn in kritischen Publikationen gern zu Pferde abbilde, weil das seine angebliche Menschenverachtung so schön illustriere. Auch all die Ausgriffe ins Planetarische und Ewige, in den Kampf der Götter und Titanen, kann man bescheiden Phantasy-Begabten überlassen. Das ist Offiziers-Tarot. Das spielt sich halt so weiter. Es gibt, zeigt Jünger einmal mehr, einen Schwulst der Sachlichkeit. Lesenswert ist das Tagebuch aber in den Traumpassagen, weil sie der welken Herbariumsprosa Lebendigkeit, Farbe und abgründigere Tiefe geben. Am interessantesten ist es, um in die Vergangenheit zu loten, dahin, wo die vermeintlich harten Fronten zusammenfallen, wo sich vorzeitliche Lektüresedimente zeigen, die mehr gezeitigt haben als nur Sentimente.

Jünger, der sich einmal mehr als leidenschaftlicher Leser bekennt, liefert genügend explizite Hinweise, sei es auf den „Orlando furioso“ des Ariost, sei es auf Begegnungen mit Céline und Drieu de la Rochelle, sei es auf Hemingway oder Faulkner, Poe oder Conrad im Briefwechsel, sei es auf seine „Erwecker“ („Rimbaud als Dichter, Schopenhauer als Denker, Hamann als Magier“). Untergründig mit den anderen Autoren des Jahrhunderts verbindend aber scheint anderes: Karl May, Gustav Schwab und „1001 Nacht“ – die Popkultur der vergangenen Jahrhundertwende. Allein von den literarischen Bildern der Geschichte von der „Messingstadt“ her ließe sich fast ein Faden durchs Jahrhundert ziehen, von Benjamin bis Jünger, Schlichter bis Schnabel. Gustav Schwab lieferte die Folie für Griechentum und Götterei, Karl May vor und über allem das Drehbuch zu Blochs „höherem Indianerspiel“, an dem sie alle teilnahmen, Benjamin, Brecht, Bronnen, Jünger, Kafka, Kisch, Schlichter u.v.a.

Wenn sie dabei in unterschiedliche Lager gerieten, dann nicht, weil die bleichgesichtigen ewigen Knaben Rothäute oder Braunhäute geworden wären. Eher könnte man sie danach unterscheiden, wer sich als Indianer und wer sich als Weißer sah, wer wenigstens von der Exposition des Körpers träumte und wessen Zähne lieber hinter der Silberbüchse klapperten. Die Unterscheidung dürfte nicht blöder sein als die zwischen Göttern und Titanen. Immerhin führt sie in den Nährboden des Jahrhunderts und nicht in sterilisierte Äonen. Ach ja: Ernst Jünger war gerne Old Shatterhand.

Ernst Jünger: „Siebzig verweht V. Tagebuch 1991–1995“. Klett- Cotta Verlag, Stuttgart 1997, 204 Seiten, 42 DM

Ernst Jünger und Rudolf Schlichter: „Briefwechsel“. Hrsg. von Dirk Heißerer. Klett-Cotta, Stuttgart 1997, 605 Seiten, 58 DM

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