„Eine Klasse zu klein“

Norwegen hatte im WM-Finale keine Chance gegen die derzeit überragenden Handballerinnen aus Dänemark  ■ Von Matti Lieske

Berlin (taz) – Menschen, die in Dänemark den schönen Namen Ulrik tragen, können wieder etwas befreiter atmen, seit am Sonntag abend in Berlin die dänischen Handballerinnen durch ein ungefährdetes 33:20 gegen Norwegen den Weltmeistertitel holten. Trainer des Teams ist Ulrik Wilbek, und da Frauenhandball derzeit, trotz des Fußballs, die eindeutig populärste Sportart des Landes ist, steht der Coach ähnlich im Blickpunkt wie hierzulande Berti Vogts. Als Dänemark vor einem Jahr in Atlanta Olympiasieger wurde, war Wilbek der Held schlechthin, doch als sein Team jetzt in der Vorrunde der WM keineswegs überzeugte und gegen Makedonien sogar verlor, gingen die Medien nicht eben freundlich mit ihm um. „Sein Vorname hat sich zu einem Synonym dafür entwickelt, daß man sich erbrechen muß“, nahm die angesehene Zeitung Politiken auch gleich die anderen Ulriks der Nation in Sippenhaft, und mit einer Boshaftigkeit, die man dänischen Menschen gar nicht zutraut, fuhr das Blatt fort: „Selbst im Profisport trifft man selten auf ein so durch und durch abstoßendes Gemüt wie Wilbek.“ Den Anlaß für die Schmähungen hatte der Trainer nach dem verlorenen Makedonien-Spiel gegeben, als er drei Mitglieder seines Teams – in Dänemark so etwas wie Nationalheiligtümer – als „totale Versagerinnen“ abkanzelte.

Das alles ist jetzt vergessen. Dänemark hat jenes WM-Gold gewonnen, das in der Medaillenkollektion noch fehlte und von den Fans auf Transparenten und T- Shirts mit dem simplen Slogan „Guld!“ kategorisch gefordert worden war. Wilbek wurde nach Spielschluß von seinem Team, einschließlich der „Versagerinnen“, in die Höhe geschleudert und von den rund 2.000 nach Berlin gereisten Anhängern bejubelt, die einen Tag nach dem Vorfall, bei dem zwei dänische Zuschauer von einem Betrunkenen mit Messerstichen getötet worden waren, Mühe hatten, ihre gewohnte Ausgelassenheit wiederzufinden.

Die spektakuläre Darbietung der Däninnen, die Norwegen nach Belieben ausspielten, sorgte dafür, daß am Ende alles fast so war wie gewohnt. „Für uns ist das Wichtigste, unterhaltend zu spielen“, sagte Wilbek, „im Moment schaffen wir das.“ Dies garantiert allein schon Anja Andersen, seit Jahren die markanteste Figur im dänischen Handball. Ihr übermäßiges Temperament hat der 28jährigen in der Vergangenheit nicht nur manchen Ärger mit den Schiedsrichtern, sondern auch mit Trainer Wilbek eingebracht. Anja Andersen stapft über den Platz wie Basketball- Riese Arvidas Sabonis, schimpft im Stile eines Hristo Stoitschkow auf Schiedsrichter, Gegnerinnen oder sich selbst und heizt das Publikum an wie Dennis Rodman. Legendär ist die Gewalt ihrer plazierten Würfe, und wenn es ihr gerade in den Sinn kommt, versucht sie kleine Kunststücke, die sie sich bei der NBA abgeschaut hat: Rückwärtswürfe, Pirouetten in der Luft oder den Ball so aufprallen zu lassen, daß er im Bogen über die Kontrahentin hinwegfliegt und pünktlich zum Wurf wieder in ihrer Hand landet. Den simplen Wurf aufs Tor findet sie „langweilig“.

Große Finalspiele waren bislang allerdings ihre Sache nicht. Nach dem verlorenen WM-Finale von 1993 lag sie monatelang mit Wilbek im Streit, der ihr vorwarf, dem Endspielgegner Deutschland die Taktik verraten zu haben. Beim gewonnenen EM-Finale von 1994 wurde sie wegen ihrer verbalen Kundgebungen früh in der zweiten Halbzeit disqualifiziert, und im Olympischen Finale 1996 gegen Süd-Korea verwarf sie in der Schlußsekunde einen Siebenmeter, der den Sieg gebracht hätte. Zu ihrem Glück gewann Dänemark in der Verlängerung.

Auch im Berliner Finale war Anja Andersen, die nach ihren Jahren beim Tus Walle Bremen jetzt in Norwegen spielt, nicht wie gewohnt die Topscorerin ihres Teams. Diesen Part übernahm mit sieben Treffern ihre Freundin Camilla Andersen. Nicht einmal ins All-Star-Team des Turniers wurde sie gewählt. Dort steht auf ihrer Position die Deutsche Franziska Heinz, die gleichzeitig – kleine Reminiszenz an die nach dem 27:25 gegen Rußland drittplazierten Gastgeberinnen – zur besten Spielerin erkoren wurde. Anja Andersen erzielte jedoch fünf Treffer und trug mit einer starken Leistung in Abwehr und Angriff maßgeblich dazu bei, daß die Norwegerinnen an diesem Tag „eine Klasse zu klein“ (Co-Trainer Arne Hoegdahl) waren. Natürlich erhielt sie auch ihre obligatorischen Meckerstrafen. Zweimal zwei Minuten, bei denen die Tobende von Coach und Ersatzspielerinnen sogleich heftig spezialtherapiert wurde, um Schlimmeres zu verhüten.

Der Hauptgrund für die klare Dominanz Dänemarks, das am Ende alle Gegnerinnen „eine Klasse zu klein“ aussehen ließ, ist nach Meinung von Ulrik Wilbek die Kontinuität. Praktisch seit 1991 spiele das Team zusammen, und da es wegen der vielen Klubspiele immer weniger Zeit gebe, mit dem Nationalteam zu trainieren, sei es „ein großer Vorteil, eingespielt zu sein“. Das zeigten die Däninnen mit einigen Zaubereien am Schluß, zum Beispiel, als Camilla Andersen eine No-look-Bogenlampe in den Kreis lupfte und die heranfliegende Anette Hoffman den Ball ins Netz jagte. Natürlich möchten die Dänen ihr Superteam auch bei Olympia 2000 sehen, aber sowohl Wilbek, als auch seine Diven zieren sich. „Wir werden sehen“, sagten der Coach, der seinen Rücktritt für 1998 erklärte, sowie Anja und Camilla Andersen unisono.