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Mit Hansdampf beim Milchkaffee

Zuverlässig, pointiert und immer schneller liefert der Dramatiker Daniel Call Boulevardstücke für die 90er. Damit füllt der Jungautor eine Marktlücke, baut sich selbst zum Markenartikel auf und macht auch aus seinem privaten Schicksal keinen Hehl  ■ Von Axel Schock

Ein junger Mann macht Furore. Gerade mal 30 und schon ein Dutzend Theaterstücke in der Schublade. Vier Uraufführungen in 1997, drei weitere 1998, Nachinszenierungen allerorten und Übersetzungen vom Finnischen bis ins Griechische – soviel Erfolg ist einem Jungdramatiker heutzutage nur selten vergönnt. „Überflieger“ spottet da mancher Kritiker und bemängelt die schlichte Auftritts- und Abtrittsdramaturgie der Stücke oder die naive Eindeutigkeit der Figuren. Daniel Call aber gibt sich gelassen. Oder versucht es zumindest. „Alles nur Neid“, sagt er. An diesem Erfolg habe er lange und hart gearbeitet. Was stimmt.

Ortstermin in Berlin-Charlottenburg. Eben war er schnell noch im „Sportstudio“, später müssen private Termine erledigt werden, und danach vielleicht – „berufsmäßig“ – ins Theater. Call ist in Hektik. Der große Hirtenhund Hansdampf läuft unruhig und hungrig durch die Wohnung. Der Milchkaffee wird schnell in die Mikrowelle geschoben. Wenn Daniel Call erzählt, geschieht dies als beinahe atemloser Monolog. Der Ton wird energischer, die Gesten immer weiter ausholend, die Stimme doziernd, fordernd. Wenn er vom Theater, von der Presse erzählt, scheint er im Zentrum seines Denkens angelangt. Dann geht's ums Existenzielle, und markante Sätze rollen, die wissen, daß man sie zitieren wird. Den Dramatiker Brecht etwa findet er „trivial“ und „selbst als Gebrauchsdramatiker sehr problematisch“, die Berliner Presse hält er für „kleingeistige, miesepetrige Schundliteratur“.

Daniel Call, aufgewachsen in Aachen, hat sich als Regieassistent, Dramaturg und schließlich Regisseur von seiner Heimatstadt aus nach Göttingen über Parchim nach Berlin vorangearbeitet. Währenddessen entstanden immer wieder und vor allem immer schneller neue Stücke. In seiner „Trilogie des alltäglichen Wahnsinns“ arbeitet er sich an der kleinbürgerlichen Alltagshölle ab, in „Der Teufel kommt aus Düsseldorf“ verfolgt er den Weg zweier Mörder nach Hollywood, in „Wetterleuchten“ läßt er drei ältere Damen à la „Golden Girls“ aufeinanderprallen und Lebensweisheiten austeilen.

Call liebt die Groteske und den schnellen Witz. Tiefgründige Psychologie ist seine Sache nicht, viel eher der Kalauer und Slapstick à la „RTL Samstag nacht“. Call spielt mit Klischees und mit dem Themen- und Bilderrepertoire unseres Jahrzehnts. Diese Versatzstücke, die man dem endlosen Wortschwall aus Werbung, Fernsehen, Talkshows und trivialen TV-Serien entnommen glaubt, verarbeitet Call zu greller Comedy. Kein Tiefsinn oder metaphysisches Raunen. Auch sonderlich große Geheimnisse geben diese Figuren nicht preis, aber dafür jede Menge Pointen. Boulevard eben für die 90er, „Pension Schöller“ für das Zeitalter des Laptops und der Wiedervereinigung.

„Man muß diese Figuren ernst nehmen, so schablonenhaft sie auch daherkommen mögen, sonst herrscht von der ersten Minute an ein unerträglicher Wahnsinn auf der Bühne“, erklärt er seine Dramaturgie. „Der eigentliche Wahnsinn entsteht erst über die Normalität. Man kann meine Stücke nicht mit einem brachialen Teutonenhumor geben. Es sind Texte, die eine Leichtigkeit und Pointensicherheit brauchen und darstellerisches Vermögen, um diese Figuren zu füllen und authentisch auf die Bühne zu bringen.“

Ein Call bürgt für leicht konsumierbare Unterhaltung mit ein bißchen literarischem Anspruch. Jung ist er, also irgendwie trendy, was sich im Spielplan gut macht und das Publikum nicht überfordert. Genaugenommen eine Marktlücke. Seit gut einem Jahr ist Daniel Call so ein Markenartikel und ein Medienphänomen geworden. Dafür hat er viel getan und weiß, daß für den mittelfristigen Erfolg die Kommunikation mit den Medien unabdingbar ist. Neben seinen Stücken liefert Daniel Call also die Story seines Lebens. „Ich als Autor stehe ja nicht auf der Bühne“, erklärt er. „Ich glaube, daß ein Publikum einen besseren Identifikationsgrad mit den Texten von mir erhält, wenn sie ein Gesicht im Hintergrund haben.“

Sein Gesicht, seine Geschichte. Immer wieder hat er sie erzählt, immer wieder wird sie gerne zitiert: Von der Ehefrau, die sich nach der Trennung das Leben nimmt. Von der gemeinsamen Tochter, die bald darauf in der Badewanne ertrinkt. Von der Arbeitswut, die aus der Trauer heraus erwuchs. Von der Schriftstellerenklave im ehemaligen Kinderzimmer, wo noch alles an das Kind erinnert. Und von dem Schauspieler Marcus Lachman, seinem jetzigen Lebensgefährten, mit dem er in einer offen schwulen Beziehung lebt.

Viel Stoff für psychologisch aufgeladene Porträts, in denen sich Privatleben und Werk bunt durchmischen. „Die Presse findet das sowieso heraus“, sagt Call. „Dann mache ich sie doch lieber gleich publik, oder?“ Und außerdem verachte er „dieses sich an jedem quersitzenden Furz Totjammern“. Selbstbeherrschung und Stärke will er ausstrahlen, ironische Zwischentöne gibt es nicht.

So energisch, wie sich Daniel Call nach dem Tod seiner Tochter in die Schreibarbeit stürzte, zeichnet er auch seine Figuren. Platz für Verzweiflung gibt es nicht einmal, wenn – in „Herr Dainat“ – ein auf Zucht und Ordnung drängender Hausmeister Amok läuft und das komplette Bühnenpersonal niedermetzelt. Statt dessen: Lebensmut angesichts größtmöglicher Katastrophen. In „Kricket“ etwa, einem seiner jüngsten Dramen, kämpfen zwei alte Herren verbal mit ihrem Altersstarrsinn, als seien sie mit Alzheimer und Krebs nicht schon genug gestraft. Statt Resignation spricht aus diesen beiden alten Giftzwergen der Mut, weiterzumachen, als gelte es den nahen Tod zu überlisten.

Von „Kricket“ erhofft sich Call besonderen Erfolg. Drei Bühnen buhlen derzeit um die Uraufführungsrechte. Waren seine ersten Stücke noch eher rotzige Untergangsobsessionen der kleinbürgerlichen Welt, sieht er seine neueren Arbeiten als „Zustandsbeschreibungen der Fernsehgeneration“. Dramen aus dem Satzbaukasten der multimedialen 90er: Soap und Action, Comedy-Slapstick und Splatter-Trash. Werner Schwab läßt grüßen, doch anders als dieser Bruder im blutrünstigen Geiste oder der Altersgenosse Thomas Jonigk, mit dem er die dramatische Vorliebe für die Kleinbürgerhölle teilt, geht Daniel Call in seinen Spielereien mit der Alltagssprache, der ironischen Wortklauberei nicht so weit, einen durchgängig eigenen kunstvollen Sprachduktus zu entwerfen.

Aber er hat das Rezept dramatischer Wirksamkeit verstanden und drängt deswegen mehr als irgendein anderer junger Autor an die Öffentlichkeit. Ganz allerdings scheint der Spagat noch nicht zu gelingen: medienpräsente, öffentliche Figur zu sein und also auch Zielscheibe für Häme und Boshaftigkeit und zugleich ernsthafter Künstler im Elfenbeinturm der kleinen, heimeligen, durch Unmengen von Büchern und Postern bunt-chaotische Altbauwohnung mit Kabelanschluß. Sein zur Schau gestelltes Selbstbewußtsein überzeugt nicht ganz, Kritik nimmt er nur deswegen widerspruchslos an, um sie schnell vom Tisch zu haben.

Calls Arbeitsenergie indessen ist eindeutig ein Phänomen. Jetzt, wo der Durchbruch geschafft ist, scheint er seinen Schaffensdrang kaum mehr bändigen zu können: Für das Theater in Esslingen schreibt er an einem Auftragswerk über den „Wüstenfuchs“ und Wehrmachtsgeneral Erwin Rommel; ein Drama über Konrad Adenauer soll folgen. Kaiserin Sissi und Goethe sind ebenfalls Kandidaten für Historiendramen. Im März inszeniert er sein bislang erfolgreichstes Werk, „Wetterleuchten“, in Brandenburg. Für eine Produktionsfirma sitzt er an der Konzeption für eine TV-Serie. Auch ein Spielfilm, eine „Kriminal-Comedy“, ist verabredet und will weiterentwickelt werden. Mit dem Theater Dortmund hat er sich in eine „künstlerische Ehe bis weit über das Jahr 2000 hinaus“ begeben. Und einen Roman gedenkt er auch noch zu schreiben. Irgendwann.

Jetzt aber wird Daniel Call nervös und rutscht auf seinem Stuhl herum. Telefonate wollen noch erledigt werden, Verabredungen geregelt. In wenigen Tagen will er Berlin erst mal für einige Zeit verlassen und sich in die Wohnung eines Freundes verkriechen, um endlich wieder das zu tun, was er jenseits von Fotosessions für die Illustrierten, Verhandlungen mit Dramaturgen, Filmproduzenten und Regisseuren eigentlich tun will: schreiben. Das Auftragsbuch will abgearbeitet werden. „Ich arbeite gut unter Druck. Wenn ich alle Zeit der Welt habe, wird das sowieso nichts.“

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